Der längste Lauf meines Lebens

 

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Ein halbes Jahr habe ich nun für das letzte Wochenende gearbeitet. Pfingsten 2018. Das Wochenende der TorTour de Ruhr. Seit der Anmeldung im letzten Sommer und spätestens seit meinem Trainingsbeginn vor einem halben Jahr habe ich nichts anderes mehr im Kopf. Mein läuferisches Highlight. Der längste Lauf meines Lebens. 230 km am Stück. Nonstop. Von der Ruhrquelle in Winterberg bis zum Rheinorange an der Ruhrmündung in Duisburg. Jetzt endlich ist es soweit.

Am Samstagmorgen bin ich aufgeregt wie schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Ich habe nur dreieinhalb Stunden geschlafen und bin schon lange vor dem Wecker um 3:20 Uhr wach geworden. Wir fahren dann pünktlich nach Winterberg zum Start und dort tänzle ich die ganze Zeit in der Gegend herum. Ich bin so unruhig, dass ich nicht ruhig stehen kann. Fast meine ganze Crew ist schon hierher zum Start gekommen, um mich auf die Strecke zu schicken, obwohl einige erst heute Nacht oder morgen früh „Dienst“ haben. Das ist unglaublich und ich freue mich sehr darüber. Sogar einen großen Laufen-in-Dortmund-Banner haben sie gebastelt. Mir fehlen die Worte.

Dann geht es los. Wir starten. Endlich. Der große Tag ist da. Darauf warte ich nun seit einem halben Jahr. Jetzt will ich mir zeigen, dass sich das Training der letzten sechs Monate gelohnt hat. Nur Nachdenken darf ich nicht. Ein paar Mal kommt mir der Gedanke, dass ich jetzt ungefähr 38 Stunden laufen werde. Oder dass 230 km vor mir liegen. Oder dass ich nun bis morgen Abend an einem Stück laufen werde. Das sind alles so komische, unwirkliche Gedanken, die mich zum Lachen bringen. So verrückt klingt das eigentlich. Eigentlich. Uneigentlich bin ich auf der Strecke und mache das wirklich.

 „Deine Crew bringt Dich ins Ziel!“ Das ist das Motto der TorTour de Ruhr. Vor ein paar Wochen haben wir uns alle getroffen und haben geplant, wer wann wo meine Versorgung übernimmt. Es gibt bei der TorTour ja nur Verpflegungspunkte in großen Abständen von bis zu 40 Kilometern. So muss jeder Teilnehmer eine eigene Crew haben, die nur für ihn da ist und die ihn über die Strecke bringt. Und das nicht nur ess- und trinktechnisch sondern in erster Linie auch motivierend. Meine Crew besteht aus 10 Freunden und meinen beiden Töchtern, die immer zu zweit oder zu dritt abwechselnd ein Teilstück übernehmen wollen. So war es geplant.

Ich laufe die ersten Kilometer locker mit Günter zusammen, bis wir uns aus den Augen verlieren. Von da an laufe ich alleine weiter. Hier und da ergibt es sich mal, dass ich für ein paar Kilometer jemanden neben mir habe. Aber immer nur für kurze Stücke, was aber nicht schlimm ist. Im Gegenteil. Ich brauche bei solchen Aktionen meine Ruhe und Zeit für mich. So kann ich mein eigenes Tempo laufen, in mich hinein jammern, wenn es sein muss, und auch mal „Gas geben“, wenn ich gerade eine gute Phase habe.

So arbeite ich mich über den ganzen Samstag, bis ich abends in Neheim ankomme, wo um 18:00 Uhr die 100-Meilen-Läufer starten. Nun geht es in die Nacht. Ich laufe mit Winterlichtmütze, Jacke und Handschuhen und sobald ich mal an einem Treffpunkt stehen bleibe, fange ich sofort an zu frieren. Es wird richtig nebelig in den Feldern des Ruhrtals und ich kann im Licht meiner Stirnlampe kaum etwas sehen. Einen Schockmoment erlebe ich, als ein Läufer mitten in der Nacht zitternd und apathisch auf der Strecke liegt. Zwei Mitläufer sind schon bei ihm und haben einen Rettungswagen gerufen. Ich bleibe auch erstmal hier und wir warten gemeinsam, bis Hilfe kommt. Als die Profis da sind, laufen wir schließlich weiter und hoffen, dass der Arme wieder gut zu Kräften kommt. Mir wird nun noch mehr klar, dass das hier wirklich eine riesengroße Herausforderung ist.

Alle paar Kilometer steht meine Crew an der Strecke. Sie sind immer lustig, fröhlich und haben immer gute Worte für mich. Und so langsam empfinde ich unglaubliche Dankbarkeit ihnen gegenüber. Sie hauen sich mit mir die ganze lange Zeit um die Ohren. Den langen Samstag, die ganze Nacht und morgen auch noch den ganzen Pfingstsonntag. Ich freue mich immer wieder, wenn ich sie sehe und wenn ich ein paar gute Worte auf den nächsten Abschnitt mitbekomme. So langsam werde ich müde. Die vielen bisher gelaufenen Kilometer und der wenige Schlaf der letzten Nacht fordern nun ihren Tribut. Aber mit vielen Aufmunterungen und mit Rocky Balboa in meinem Kopf kämpfe ich mich durch die Nacht. Alle Rocky-Filme habe ich mir in den letzten Tagen angesehen. Sie sind pure Motivation für mich und sie stehen fürs Durchhalten und fürs immer wieder aufstehen. „Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist!“ Ein Zitat aus Rocky 6. Das gilt besonders für heute. Ich muss weiter. Immer weiter. Immer von Runde zu Runde denken. Von Etappe zu Etappe. Immer nur bis zum nächsten Treffpunkt mit der Crew denken. Sonst drehe ich noch durch.

Morgens geht endlich die Sonne auf. Die Wärme tut gut, aber sie schafft es nicht, in mir die Müdigkeit zu vertreiben. Sobald ich mal ein paar Schritte gehe und nicht laufe, fange ich an zu torkeln und meine Augen fallen zu. Boah, bin ich müde. Aber ich laufe weiter. Meine Crew baut mich immer wieder auf. Essen kann ich schon lange nichts mehr. Mal zwei Salzstangen oder ein Stückchen Mausespeck. Sonst geht nichts mehr rein. Und Cola und Wasser drücke ich in mich rein. Ich muss trinken. Zucker und Wasser. Aber Hunger und Durst empfinde ich nicht mehr. Mein Magen möchte nichts mehr haben. Er hat wohl schon die Arbeit eingestellt. Mein Blut geht nur noch in die Beine. Da bleibt für den Restkörper wohl nichts mehr übrig.

Es wird jetzt richtig warm. Und voll. Das schöne Wetter lockt tausende von Radfahrern auf den Radweg, die zum Teil mit Vollgas über die Strecke jagen. Hier und da ernten wir böse Wünsche und Unverständnis, weil es an manchen Stellen richtig eng ist, aber genauso auch Bewunderung, wenn mal jemand fragt, was wir hier eigentlich machen. Glauben kann das niemand so richtig, dass man 230 km an einem Stück laufen kann.

Nach dem Mittag schaue ich zum x-ten Mal auf meine Uhr, die nur die Uhrzeit anzeigt. Meine GPS-Uhr habe ich nicht auf. Sie würde sowieso nicht so lange durchhalten und ich genieße es, einfach nur so zu laufen. Aber jetzt fange ich an zu rechnen. Ich habe schon mehrfach gesagt, dass ich nur die Strecke schaffen will. Einfach nur ankommen. Ich möchte mir sagen können: „Ich bin 230 km am Stück gelaufen!“ Egal, ob ich im Zeitlimit von 38 Stunden bleibe oder nicht. Die Strecke zählt. Aber nun rechne ich, so gut es noch geht. Meine beiden 100-Meiler, die ich schon gelaufen bin, habe ich in 28 bzw. in 27 Stunden gefinisht. Heute habe ich nur 25einhalb Stunden dafür gebraucht. Zweieinhalb Stunden schneller als vor zwei Jahren bei der TorTour oder anderthalb schneller als letztes Jahr in Berlin. Das wird mir jetzt klar und ich fange an zu rechnen. Schaffe ich es im Zeitlimit von 38 Stunden? Das könnte klappen, wenn ich jetzt nicht noch rumklüngle und nicht in ein „Loch falle“. Rocky schwirrt mir wieder durch den Kopf, wie er mit tausend Kindern hinter sich durch Philadelphia läuft. Und ich habe eine tolle Crew, die inzwischen komplett anwesend ist, obwohl wir ja einen „Dienstplan“ abgesprochen haben. Aber sie leben heute mein Projekt voll mit und haben mein neues Ziel sofort aufgenommen und schieben mich mit Begeisterung an jedem Treffpunkt neu an. Also los!

Ich laufe, was ich noch kann. Und je näher ich dem Ziel komme, desto besser läuft es. Macht das der Kopf? Die Aussicht aufs Ankommen? Keine Ahnung. Auf jeden Fall genieße ich es. Ich bin total gut drauf. Und das nach so einer langen Strecke. Bei den letzten Verpflegungsstopps bleibe ich nur noch kurz stehen und laufe dann nach zwei drei Schlucken Wasser oder Cola sofort weiter. Jetzt habe ich noch mehr Ehrgeiz. Ich will im Zeitlimit bleiben. Ich will auf der Ergebnisliste stehen. Komm Frank, lauf! Alter Schwede!

Ich renne. Mit vollem Armeinsatz. Und ich kann noch richtig schnell laufen. Dass das noch geht, wundert mich selbst. Aber ich genieße es jetzt einfach. Das ist die Belohnung für sechs Monate Training. Hin und wieder schaue ich auf meine Uhr und erkenne nun, dass es passen wird. Sogar mit einem guten Zeitpolster. Ich überhole auf den letzten Kilometern noch einige Läufer, die sich ins Ziel schleppen. Die nur noch irgendwie ankommen wollen. Ich habe dagegen noch richtig Dampf und kann noch zügig laufen. Und ich genieße es immer mehr. Ich renne. Wie doof. Dann kommt endlich das Rheinorange in Sicht. Noch einen Kilometer ungefähr. Ich sprinte weiter. Den Damm hinunter. Da stehen Leute am Rheinorange und ich erkenne meine Crew. Alle sind da und jubeln. Dann habe ich es geschafft. Ich schlage an dem orangen Stahldingen an, gebe dem Rheinorange einen Kuss und bin da. Jens gratuliert mir und gibt mir meine Medaille. Meine Crew feiert mich, ich bekomme einen „Lorbeerkranz“ aufgesetzt und fühle mich wie ein Olympiasieger. Mann, ist das geil. Ist das mein schönster Lauf in meinem Leben? Der beste und bedeutendste? Ich glaube ja. Das Gefühl, dass ich jetzt in mir habe, ist nicht schlagbar. Ich fühle mich wie… keine Ahnung. Besser geht es nicht.

37:28:07 Stunden habe ich gebraucht. Für 230 km. Aber das ist nicht richtig formuliert. Wir haben 37:28:07 gebraucht. Mit Betonung auf Wir. Das war eine Teamleistung. Wir haben die TorTour geschafft. Wir haben’s gerockt. Rocken kommt von Rocky. 😉 Meine Crew war einfach unglaublich. Mit viel Hingabe, Fröhlichkeit und Spaß an den zwei anstrengenden Tagen haben sie mich über die so lange Strecke gebracht. Ihr habt für mich Pfingsten „geopfert“. Wir haben es geschafft! Wir sind Im Ziel! Angekommen. Im Zeitlimit. Gesund! Fröhlich! Feiernd! Glücklich! Alle gemeinsam! DANKE!

Jetzt zwei Tage nach der TorTour, wo ich diese Zeilen schreibe, habe ich es immer noch nicht verdaut. Ich bin 230 km nonstop gelaufen. Den längsten Lauf meines Lebens. Darauf bin ich stolz. Ich habe es geschafft! Aber… das war eigentlich gar nicht das Wichtigste dieses Wochenendes. Es wird für mich ein Lebensereignis bleiben. Eins, das sich in meine Seele einbrennt. Eins, dass ich mit meinen Freunden und Töchtern erleben durfte. Wir haben diese große Aufgabe als Team geschafft. Meine Crew und ich. Jeder hatte seine Aufgaben im Team, die alle gleich wichtig waren. Und meine war es eben zu laufen.

Danke an Marion, Tanja, Marleen, Lisanne, Rosi und Detlev, Gudrun und Udo, Tommi und Marie, Nico und Lena. Wir haben es geschafft! Danke an die vielen Menschen, die mich an der Strecke angefeuert haben, die extra an den Radweg gekommen sind, um mir gute Wünsche mitzugeben, die mich ein paar Kilometer zu Fuß oder mit dem Rad begleitet haben, die Anfeuerungen auf der Strecke hinterlassen haben, die mich virtuell bei Facebook oder sonst wie begleitet haben… Ihr habt mich alle mit angeschoben! Danke!

Die TorTour ist etwas ganz Besonderes. Etwas Eigenes. Mit einem eigenen Spirit. Es ist immer eine Teamleistung, wenn hier jemand an den Start geht und sich auf den Weg zum Rheinorange macht. Das gibt es so nur hier bei der TorTour de Ruhr. Alle zwei Jahre an Pfingsten. Und ich weiß jetzt nicht, wie ich damit umgehe. Für mich war es ein so großes einschneidendes Erlebnis, dass ich das Gefühl habe, ich kann das nicht toppen. Mache ich das nochmal? Muss oder will ich nochmal 230 km laufen? Ich bin so gut ins Ziel gekommen, da dürfte es gar keine Frage sein. Aber gerade weil ich es so gut und so außergewöhnlich erlebt habe, mache ich es vielleicht nicht wieder. So bleibt es als einmaliges Erlebnis in meinem Fotoalbum mit dem silbernen Knopf in meinem Kopf. Ein zweiter Start würde den ersten irgendwie zu nichts besonderem abschwächen. Und im Moment möchte ich das nicht. Es soll DER Lauf meines Lebens bleiben. Aber „Sag niemals nie!“ Wer weiß…

 

7 thoughts on “Der längste Lauf meines Lebens

  1. …super spannend geschrieben und ich kann die Nachtstunden mit dem Nebel und schleichender Kälte nachvollziehen., manch einer von euch hat in den wenigen Minuten am VP das umhängen einer wärmenden Decke genossen…menthal muss man schon sehr gut drauf sein bei diesem Megalauf….

  2. Ich bin hin und weg nur vom lesen. Was für rührende und fessende Worte. ROCKY wäre neidisch wenn er das hier lesen würde. Einen Riesen Glückwunsch für diese Wahnsinns Leistung ! Erhol dich gut . Sportliche Grüße, Reiner vom Run for Hope Oberberg

  3. Frank: ein sehr schöner Bericht, man merkt wie dankbar Du bist! Dazu das tolle Video – dieses Erlebnis kann Dir keiner mehr nehmen. Ich ziehe meinen Hut vor dieser Riesenleistung und freue mich Dir.
    Gruß
    Thomas

  4. Frank,ich verfolge dich schon ein Stück bei YouTube. Deine Laufberichte sind sehr toll.
    Ich war auch vor wenigen Tagen bei der TTDR allerdings über die 100 Meilen.
    Leider steht bei mir ein DNF da die Füsse nicht so wollten wie bei Dir.
    Daher schaue ich deinen Bericht mit zwei weinenden Augen für mich.
    Herzlichen Glückwunsch zu deiner übermenschlichen Leistung….

    Vg Andreas aus Sachsen

  5. Hallo Frank,
    als Erstes natürlich: Herzliche Glückwünsche!!!
    Eine Superleistung hast Du da mal wieder abgeliefert – Chapeau!
    Und vielen Dank für Deinen Bericht.
    Alles Gute weiterhin für Dich, erhol Dich gut und bis vielleicht irgendwann mal wieder auf einer Laufstrecke.
    Viele Grüße aus dem Havelland
    Jens

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