Kölnpfad 171 Ultralauf

… öm janz Kölle bei 37 Grad

Das wars für mich. Nein, nicht mit solch langen Strecken, obgleich ich der Meinung bin, dass ich das nicht öfter als 1 x im Jahr haben muss. 100 km sind auch ganz schön. Oder so ein Marathönchen…. .Meine Hassliebe zum Kölnpfad Ultralauf hat mit dem erzwungenen Finish am Morgen des 29.6.2019 ihre Erfüllung gefunden. Das ist eindeutig keine Kritik an den tollen Veranstaltern Thomas Eller und Thorsten Klenke, die wieder einen sagenhaften Job erledigt und uns ein (alp-)traumhaftes Wochenende beschert hatte. Der Kölnpfad ist eine top-organisierte Veranstaltung mit Kultstatus. ABER: Ich muss den nicht nochmal laufen, zumindest nicht die 171 km. Warum dann überhaupt?

Nun, das hat ja seine Geschichte. Die von der unvorbereiteten Teilnahme 2016 am kurzfristig 5 Tage vor dem Start eingeführten „10×11“. Mittwochs hatte Claudia die Idee, freitags mittags bauten wir schon das Zelt auf in Köln-Höhenhaus. Unvorbereitet, ohne Track und nur mit Papierkarte des Wandervereins verliefen wir uns ständig, Claudia hatte Probleme, ich später auch und ich war wütend, dass ich mir den ganzen Driss überhaupt angetan hatte. 17 Stunden für 110 Kilometer waren jetzt auch keine Glanzleistung. Es gab für uns auch die Original-Schnalle, da die Distanz ja erst kurz vorher aufgenommen worden war.

2017 sollte es dann für uns etwas Besonderes werden. Claudia hatte einen runden Geburtstag am Sonntag, in den wollten wir „hineinlaufen“. Dann gab es aber bei Claudia Verletzungs-probleme und wir mussten an VP 3 nach 45 km raus. Das schmerzte und tat weh, wir blieben aber da und fuhren den Samstag dann von VP zu VP. Den Geburtstag feierten wir dann allein vor unserem Zelt, es war nass und regnete.  Das Ding wollte ich aber beenden. Irgendwann. 2018 kam mir dann die Challenge Roth dazwischen, die meine liebe Frau mir zu meinem „runden“ Geburtstag geschenkt hatte. Also 2019. Jetzt aber, dachte ich mir. Es war von Anfang an klar, dass ich nicht mit Claudia laufen würde, denn so etwas kann man nur relativ sicher „auf den eigenen Deckel“ laufen, sprich, in seinem eigenen Rhythmus und seiner eigenen Strategie. Es sollte also unser Ultra 2019 werden. Er ist nah von Zuhause, die Trainingsläufe des „Veedels Verzäll“ hatten wir gerne schon einmal genutzt und die Leute, Teilnehmer wie das Orga-Team um Tom und Thorsten sind einfach Spitze. Es ist ein ähnlicher Korpsgeist wie bei der TorTour, das habe ich bisher nur bei diesen beiden Veranstaltungen so empfunden, die dabei unterschiedlicher kaum sein könnten.

Aber eine lange Vorgeschichte, nun zum wirklich langen Lauf. 171 km sind mehr als 100 Meilen. Wenn man 100 hat, muss man noch 70. Und ich bin jetzt kein „echter“ Ultra, was heißen will, dass ich ja sehr wohl noch schnelle Marathonläufe und ein Trainingsprogramm in der Ausdauerschule absolviere, welches eher auf die handelsüblichen Distanzen 5 km – maximal Marathon ausgelegt ist.

Ich fühlte mich nach dem Programm des ersten Halbjahres, das mir zumindest eine neue Bestzeit über 100 km beim WHEW beschert hatte, leicht „untertrainiert“ für eine solche Distanz. Denn dreistellig hatten wir danach nicht mehr trainiert. Zwei mäßige „Doppeldecker“-Wochenenden, einmal mit 70 km Klingenpfad und am Tage darauf die geplante Kombi aus „K-Weg“ in Essen-Kupferdreh mit 22 km und Baldeneysteig mit 26 km nach dem K bereits beendet. Beim letzten  14 Tage vor dem Ding lief es Samstags bei der heimischen Wesel-Rheinbrücken-Tour über 52 km mäßig gut, Sonntag bei Veedels-Verzäll in Köln dagegen gar nicht, ich war bereits nach 15 km relativ platt und nach 30 km in etwa am Ende, quälte mich aber diszipliniert zumindest auf 41 km. Das sorgte nicht gerade für Optimismus bei mir. Zumindest hatte ich mir aber einzureden versucht, dass weniger auch mal mehr sein kann. Man kann sich schließlich auch kaputt trainieren.

Dazu kommt jene spezielle Eigenschaft des Kölnpfad-Unterlaufs, nämlich der Start um 24:00 bzw. 0:00 Uhr in der Nacht Freitag auf Samstag. Das heißt für mich 6:00 Uhr Wecker am Freitagmorgen, Arbeit im Büro bis 13:00 Uhr, dann im dichten Wochenendverkehr nach Köln-Höhenhaus zum Start. Zelt aufbauen, noch nett mit den üblichen Verdächtigen zusammensitzen. Aber Hinlegen ist bei Temperaturen um die 34 Grad schon schwierig, schlafen fast unmöglich. Ich legte mich also erst gegen 21:30 Uhr ein wenig hin, schlief aber natürlich nicht mehr ein. Das würde bedeuten, dass man fast zwei komplette Nächte schlaflos absolvieren müsste, das war auch für mich neu. Da meine Claudia ja „nur“ die 110 km absolvierte, konnte sie sich nach meinem Start ja nochmal „ausschlafen“.

Zum Start am Samstag um 0:00 Uhr ging ich ruhig, aber entschlossen. Ich bin ein guter Wärmeläufer und leide nicht so stark unter der Hitze wie andere, dennoch würde das mächtig Kräfte kosten. Dazu der ungeliebte Rucksack, der durch das Verbot jeglicher Rad- oder Fußbegleitung natürlich schwer war. Power-Bank mit Solar, damit die Garmin oft genug nachgeladen werden kann, ausreichend Gels und 2 Liter Iso in der Trinkblase, Konzentrat zum Nachmixen in einem kleinen Trinkfläschchen im Hosenbund, zwei mal 0,5 l in Softflasks, einmal Wasser zum Kühlen und als eiserne Reserve, einmal Haferschleim mit Zucker zur Selbstversorgung. Ersatzbatterien für die Stirnlampe, alles ein ordentliches Gewicht. Ich hatte mich entschlossen, als Taktik zunächst die Kühle der Nacht nutzen, um Kilometer zu machen. Dabei muss man sicherlich aufpassen, nicht völlig zu überpacen, aber solange ich über 5:30er Pace bleiben würde, sollte es dazu wohl nicht kommen. Es ging dann auch nach kurzem Briefing relativ unspektakulär los. Countdown selbst heruntergezählt, schon war man unterwegs.

Der Lindwurm aus Stirnlampen setzte sich in Bewegung, etwa 80 der gemeldeten etwa 100 Starter liefen los. Es geht zunächst etwa 3,5 Kilometer auf den Kölnpfad zu, denn die TrailCity lag ja nicht direkt an der Strecke.

Eine feste Verabredung mit jemandem zusammen zu laufen hatte ich nicht, das würde sich ergeben, oder auch nicht. Eine Zeitlang hoffte ich, mit Trailwolf Michael laufen zu können, etwas Unterhaltung war ja grundsätzlich nicht schlecht. Zunächst galt es aber, durch ein kleines Wäldchen und dann durch Wohngebiete den eigentlichen Kurs zu erreichen. Unterwegs gab es einen Bahnübergang, wo selbstverständlich gleich mal die Schranken geschlossen waren, als unser Feld dort ankam. Während wir wartetet, fragte ein ebenfalls wartenden Autofahrer, was wir da tun würden. Der Anblick von etwa dreißig beruckssackten und mit Stirnlampen beleuchteten Fußgängern war wohl ungewöhnlich an diesem Ort zu dieser Zeit. Einer sagte ihm, dass wir gerade im Begriff waren, 171 km rund um Köln zu starten. Das glaubte uns der gute Mann natürlich nicht, hätte ich wahrscheinlich früher auch nicht getan. Erst, als einer ihm die Startnummer zeigte, wurde ihm wohl bewusst, dass das kein schlechter Scherz war. Während er sich wohl innerlich an die Stirn tippte und uns viel Spaß wünschte, hoben sich die Schranken und es ging weiter. Das Feld war jetzt natürlich wieder dicht beisammen, die Führenden natürlich schon mit gutem Abstand zu uns unterwegs. Aber das war mir egal. Die Temperaturen lagen bei etwa 18 Grad durchaus in angenehmem Bereich, es lief sich gut an.

Als wir den Ortsteil Flittard durchquert und das Rheinufer erstmals erreicht hatten, hatte sich das Tempo schnell bei etwa 5:30 – 5:40 pro Kilometer eingependelt. Der Weg bestand aus festem feinem Schotter, gegenüber leuchten die Ford-Werke, eigentlich waren die Stirnlampen hier überflüssig. Ein paar Mal nahm ich Tempo heraus und überließ anderen aus der Gruppe von etwa 7-8 Läufern die Führung, als es mir zu schnell wurde. Jetzt nicht darüber nachdenken, wie weit es noch war. Es ist für mich immer die Kunst beim Ultralaufen, mich mental in der Gegenwart zu halten. Zukunft hieß bestenfalls der nächste VP. Nur noch 100 Meilen durfte man hier nicht denken, dann hört man auf. Unterwegs am Schlosspark in Stammheim und kurz dahinter lungerten einzelne Partygänger Gruppen an den Bänken an der Rheinpromenade, die uns aber weitgehend ignorierten. Es war gegen 1 Uhr. Ich konnte mir aber denken, dass die Frauen unter uns hier lieber in der Gruppe durchliefen. Im Grunde war das hier gefährlicher als in der zweiten Nacht im Wald um Bergisch-Gladbach. So klappte es gut bis an die Mülheimer Brücke, wo der erste VP auf uns wartete. Patrick bewachte unter der Brücke die Nahrungsmittel. Ich hatte natürlich noch keinen Bedarf nach etwa 12 km, nahm aber dennoch zwei Apfelstücke und einen Haferkeks und trank etwas Iso. Man darf hier gar nicht erst ein eine Unterversorgung hereinlaufen, darum fand ich es wichtig, konsequent Kleinigkeiten zu mir zu nehmen. Und je seltener ich die warme Plörre in meiner Trinkblase saugen musste, desto abwechslungsreicher. Dann ging es auf die Mülheimer Brücke. Hier offenbart sich einem erst- und vorläufig letztmalig das Panorama der Domstadt einschließlich des zweitürmigen Wahrzeichens, gelblich angestrahlt. Zwei Jahre zuvor war ich hier noch mit Toni und Claudia unterwegs gewesen. Nun ging es über die hier bereits ziemlich einsame Rheinpromenade wieder in den Norden. Vorbei an campierenden LKW aus halb Osteuropa, über die Brücke des Niehler Hafens. Die Ford-Werke mussten wir über den Fühlinger See umlaufen. Auf dem Weg dorthin passiere ich eine Party-Location, jede Menge sturzbetrunkene Hochzeitsgäste gilt es zu umlaufen. Ich bin seit dem Rheinufer zeitweilig allein unterwegs, die Gruppe hat sich doch ziemlich auseinandergelaufen. Ausgerechnet hier, unter den Angetrunkenen Party-People, muss ich mich orientieren und unter mehr oder weniger lallend vorgetragenen Sprüchen in das Wäldchen rund um das „Niehler Ei“ flüchten. Hier bin ich wieder „on Track“. Ich bin jetzt gut zwei Stunden unterwegs, habe 20 km geschafft und es geht ganz gut. Richtung Fühlinger See sammelt sich wieder eine Gruppe, wer alles dabei ist, kann ich im Schein der Stirnlampen gar nicht so genau erkennen, es ist auch erst einmal egal. Viel geredet wird ohnehin nicht. Entlang des Seeufers geht es weiter durch die Nacht, dann taucht VP Nr. 2 auf. Ich verspüre ein größeres menschliches Bedürfnis und ziehe mich ins hüfthohe Gras zurück. Was unten raus geht, muss oben in frischer Form nachgefüllt werden. Ich nehme wieder etwas Obst, einen Riegel und ein paar Salzbrezeln.  Weiter geht es an den Rhein zurück. Merkenich heißt das hier und am Ostufer des großen Flusses glaube ich schon langsam einen Silberstreif am Horizont zu sehen. Ich laufe mich so langsam wieder ein, nachdem die Kilometer vor dem VP mit einigen Orientierungspausen und Ampeln doch Pace gekostet hatten. Es geht einen Feldweg entlang, an ein paar Häusern und einem kleinen Campingplatz vorbei auf die 30 Kilometer zu. Ich spüre im Kopf schon eine gewisse Schwerfälligkeit und muss mich schon fast zwingen, hier 6:30er Pace zu laufen und noch keine Gehpausen zu machen. Der lange Rheindamm hinter Langel 1 (Langel 2 gibt es nochmal, wenn wir am südlichen Ende der Strecke letztmals den Rhein verlassen) lässt vor mir zwei vereinzelte Lichter erkennen, umdrehen mag ich jetzt nicht. Es hat sich schon wieder auseinandergelaufen und ich bin wieder einsam unterwegs. Links neben mir liegt der Worringer Bruch, den wir gleich noch durchlaufen werden. Dort fand 1288 die größte mittelalterliche Schlacht in unserer Gegend statt. Hauptkontrahenten des Konflikts waren Siegfried von Westerburg, Erzbischof von Köln, und Herzog Johann I. von Brabant. Der Ausgang der Schlacht veränderte das Machtgefüge im gesamten Nordwesten Mitteleuropas. Auch die Grafen Dietrich von Moers und Dietrich von Kleve, die damaligen Herren meiner Heimat, standen auf Seiten des Kölner Bischofs. Wer sich einmal mit den Abläufen einer mittelalterlichen Schlacht befasst hat, dem muss bei dem Gedanken an das Schlachtfeld das Grauen kommen. Quellen zufolge sollen 1.100 Kämpfer den Tod auf dem Schlachtfeld gefunden haben, 700 später an ihren Verletzungen gestorben sein. In Köln soll es nach der Schlacht mehr als 700 Witwen gegeben haben. In den Massengräbern sollen 600 Kämpfer bestattet worden sein (Wikipedia). In der Nacht nach den Kämpfen war das Feld übersät mit Toten, die Luft erfüllt vom Stöhnen und Schreien der Verwundeten, die sterbend zurückgelassen und der Plünderung durch die ortsansässige Bevölkerung  und marodierende Truppen überlassen worden waren. Eine schwere Wunde bedeutete zumeist Wundbrand und einen qualvollen, langen Tod. Der Gestank von aufgerissenen Pferdekadavern, abgetrennten menschlichen Gliedern und Leichen muss im Sommer (das Ganze fand am 5.6.1288 statt) fürchterlich gewesen sein. Überzeugt, dass das Böse, was hier einst stattfand, irgendwie noch zu spüren ist laufe ich sinnierend weiter. Ich muss ja nur laufen. Schon verlasse ich den Deich und laufe Richtung Bruch, hier gab es 2016 den zweiten VP, an dem wir von Mücken aufgefressen worden waren und den ersten Marathon geschafft hatten. Bis hier war ich 2017 auch mit Claudia noch gekommen, obwohl hier schon der Entschluss Raum gewann, dass wir das Ding nicht würden zu Ende laufen können. Hier im Feld wurde die Luft nun wirklich kühl. Ich genoss es. Es ging ein ganzes Stück auf ganz schlechten Trampelfaden den Waldrand des Bruches entlang. Hier marschierte ich, denn meine Hüfte machte sich leicht schmerzend bemerkbar und ich wollte sie hier nicht unnötig durch das schlechte Geläuf belasten. Dann ging es endlich auf halbwegs vernünftige Waldwege. Ich bin nun schon 37 Kilometer gelaufen und überlegen, wie es 2016 hier schon ein Marathon gewesen sein konnte. Auf einem sich gabelnden Feldweg Richtung Chorweiler, es wurde langsam deutlich heller, knipste ich die Stirnlampe endlich aus. Die darin befindlichen gebrauchten Batterien hatten schon mal ohne Wechsel gehalten. Aber ich würde sie ja nochmal brauchen, war ja noch ein Stück. Da der Weg hier wieder schlecht war, marschierte ich wieder ein Stück und eine größere Gruppe kam an mir vorbei. Ich haderte schon wieder ein wenig mit mir, den leichten Schmerzen in der rechten Hüfte und irgendwie schlichen sich negative Gedanken eine Spur zu viel in mein Denken ein. Der Lauf hat scheinbar seine eigenen Gesetzte. Kurz vor dem VP holte ich einen anderen Läufer ein, wir motivierten uns kurz gegenseitig die letzten paar hundert Meter zum VP noch laufend zurück zu legen. Hier gab es Kaffee, der kann um kurz vor 5 am Morgen schon mal die Lebensgeister wecken. Auch ein alkoholfreies Früh-Sport trank ich gerne, dazu etwas festes, Kuchen oder so, genau weiß ich es nicht mehr. Eine Stück Laugen Gebäck nahm ich mir ebenso wie den „Coffee to go“ noch mit und nahm es im Gehen zu mir. Nicht zu viel Zeit verlieren, ehe die Hitze kommt. Noch war die Sonne nicht zu sehen, es war angenehme 15 Grad, dennoch lag kalter Schweiß auf meiner Haut. Mein kurzzeitiger Begleiter war zurückgeblieben, also raffte ich mich alleine wieder zum Laufen auf. Das konnte ja noch heiter werden, ich hatte mal gerade einen von vier Marathonläufen absolviert! Aber ich musste kühlen Kopf bewahren, ich war auch noch keine 5 Stunden unterwegs. Da war Luft für Pausen, wenn nötig. Aufgaben geht nicht, es geht immer weiter. Irgendwie. Ich will es wirklich dieses Mal, nur noch diese Mal. Ich mache ein Foto von mir in der aufgehenden Sonne ab jetzt würde es kontinuierlich wärmer werden. Ein kurzes Stück weiter führte der Weg unter der A 1 des Kölner Autobahnrings hindurch und sollte dann links irgendwo in den Wald abbiegen. Der Waldpfad schien sich im Unterholz zu verlieren, ich begegnete hier Mark aus Potsdam und einem weiteren Läufer aus dem Saarland. Sie suchten auch und irgendwie fanden wir dann den Weg durch das Gebüsch „back on Track“. Wir liefen zusammen weiter, was sich bei meinem aktuellen Befinden als absoluter Glücksfall erwies. gerade der Saarländer hatte viel erlebt und viel zu erzählen, das machte das erstmals wieder richtig kurzweilig nach der Stille der Nacht. Wir liefen wieder regelmäßig, auch wenn wir ab und zu Gehpausen machen mussten, weil dem Saarländer auch die Hüfte etwas zu schaffen machten. Dennoch blieben wir als Gruppe zusammen und näherten uns dann langsam aber sicher dem VP am RheinEnergie Stadion in Müngersdorf. 58 Kilometer, kurz vor sieben Uhr am Morgen. Ich denke nun immer daran, meine Trinkblase immer komplett zu befüllen. „Trockenlaufen“ wie 2016 in den Feldern bei Weiß ist das letzte, was ich nochmal erleben möchte. Wenn Du einmal in ein Defizit hereinläufst, kriegst Du es bei einer solchen Distanz nicht mehr substituiert. Es ist kurz vor Sieben, in drei Stunden würde Claudia von hier aus die 110 km beginnen. Ob sie mich irgendwann einholen würde? Normal nicht, auf 110 Kilometer holt man keine 3 Stunden auf. Aber was ist bei solch einer Distanz schon normal?

Weiter ging es, um das Stadion herum. Der Saarländer schickte uns vor, er wollte es dann doch wieder ruhiger angehen lassen. Jetzt lief ich mit Mark, so hieß der Kollegen aus Potsdam, allein weiter durch den nun richtig schön werdenden Grüngürtel.  Vorbei am Adenauer-Weiher, benannt nach dem Alt-Bundeskanzler und OB von Köln in der Zeit zwischen den Weltkriegen, dem der wunderschöne Grüngürtel überhaupt zu verdanken ist. Einst lagen hier die Festungsanlagen der Stadt Köln, erbaut von den Preußen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Bollwerk gegen eine erwartete Französische Invasion, ergänzt in der 2. Hälfte des 19 Jahrhunderts um den äußeren Festungsgürtel. Beide Anlagen mussten nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages vor ziemlich genau 100 Jahren geschleift – also abgerissen oder zumindest unbrauchbar gemacht werden. Zunächst sollten de Freiflächen überbaut werden, Adenauer gelang es jedoch von den Alliierten Entscheidungsträgern der Besatzungsmächte, stattdessen die Genehmigung zur Anlage von Parkanlagen zu erhalten. Als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in den schwierigen 20er Jahren wurden die Weiher angelegt, Hügel aus Festungstrümmern aufgeschüttet und Bäume gepflanzt, Sportstätten errichtet. Unter anderem auch das Müngersdorfer Stadion als Vorläufer jener Arena, die wir gerade nach dem VP passiert hatten. Eine wunderschöne, Wald- und Wiesendurchsetzte Grünanlage, die sich umfasst ganz Köln zieht. Kann man schöneres aus Militärbauwerken machen? Wir liefen ganz ordentlich, einmal verliefen wir uns ein klein wenig und mussten über ein zugewachsenes ehemaliges Fort marschieren, ehe wir den parallellaufenden Track wieder erreichten. War aber mit Sicherheit keine Abkürzung, eher ein paar zusätzliche Höhenmeter. Mark kam mir gerade Recht, denn ich hatte wieder einen Orientierungspunkt. Hatte ich am frühen Morgen noch viele Gedanken um Schmerzen in meiner Hüfte und sonstige Probleme, die da noch kommen könnten, waren diese nun weg. Mark erzählte, dass er einen Marathon bereits unter 3 h gelaufen sei, dies aber erst sein zweiter „Dreistelliger“ war, er hatte im Rahmen eines 24h-Laufes bereits einmal 100 Meilen absolviert. Wir hatten den VP am Kalscheurer Weiher erreicht. Hier lag auch der VP beim letzten Grüngürtel-Ultra. Allzu lange hielten wir uns nicht auf, denn die Sonne stand nun gegen 8:40 Uhr deutlich höher am Himmel und wir wollten noch laufen, solange es ging und wir halbwegs Schatten hatten. Waren ja nur noch 100 km, dachte ich so, behielt es aber für mich. Weiter ging es, aber der Grüngürtel würde bald verlassen werden und den Feldern um Rodenkirchen und Weiß Platz machen, wo es deutlich wärmer werden würde. Wir kamen trotz einiger kleinerer Pausen zur Gel-Aufnahme, zur Entsorgung der zu viel aufgenommenen Flüssigkeit noch gut voran. Nach 81 km war es dann soweit, wir hatten die Felder erreicht. Ich hatte hier wenig Schatten im Gedächtnis, aber 2016 hatten Claudia, Jörg und ich uns hier auch ein wenig verlaufen. So wild war es dann gar nicht. Dennoch fingen wir hier nun an, in sonnigen Abschnitten bewusst zu marschieren, in schattigen wurde dann wieder gelaufen. Es wurde anstrengend, vor allem merkte man langsam, dass die Luft wärmer wurde, die Sonne die Frische der Nacht vertrieben hatte und es nun auch von unten kommen gefühlt wärmer wurde. So langsam wurde es 10 Uhr, Claudia würde nun am Stadion zu Ihren 110 km starten, in der vollen Sonne. Ich schrieb Ihr noch kurz, wünschte alles Gute und wies auf die ersten bewaldeten Kilometer hin. Hoffentlich würde sie es diesmal finishen können, wo sie sich schon „heruntergemeldet“ hatte. Aber da konnte ich wenig dran tun, ich musste sehen, wie ich hier durchkomme, idealerweise mit Mark um Schlepptau – oder andersherum, wie ich langsam den Eindruck gewann. Der Weg zum VP bei Kilometer 84 zog sich dann doch ein wenig, aber endlich waren wir da. Der VP wurde von Thorstens Tochter nebst Anhang betreut, wie ich erfuhr. Kann es schöneres für einen Vater geben, wenn die Tochter ihn bei seinem Hobby so toll unterstützt und sich den Tag oder sogar die Nacht am Wochenende um die Ohren haut, um wildfremde Läufer zu versorgen? Das sagte ich Ihr auch. Thorsten, da kannst Du wirklich stolz drauf sein! Zwischendurch mussten wir die Bierzelt-Bänke einmal wegstellen, da ein Auto durchmusste. Thorstens Tochter versorge mich dann noch mit Sonnencreme, hierfür an dieser Stelle tausend Dank. Die bewahrte mich tatsächlich vor Sonnenbrand. Dann ging es nordwärts am Leinpfad des Rheinufers entlang, die Sonne zur Rechten. Überraschenderweise fanden wir hier noch relativ viel Schatten vor, weiterhin einige Wandergruppen, an denen wir vorbeiliefen, wenn wir dann einmal liefen. Die Gehabschnitte wurden mehr, vor allem, weil ich sie einlegen musste. Langsam merkte ich auch, dass wir auf die 90 Kilometer zu liefen und schon über zehneinhalb Stunden unterwegs waren. Dennoch waren die Gehpausen kurz, die Laufabschnitte noch relativ lang und relativ häufig grinste nach einem Kilometer auf dem Display der Garmin noch eine 6 vor dem Doppelpunkt. Der Abschnitte des Rodenkirchener Ufers bis zur A4-Autobahnbrücke zieht sich wie Kaugummi, wurde aber nun mental verkürzt, da wir immer wieder Wandergruppen überholten und ein paar lockere Sprüche austauschen konnten. Als ich die Rodenkirchener Brücke sehen konnte, machte ich mit Mark aus, dass wir bis zum Brückenaufstieg laufen würden, auf der Brücke marschieren, denn Mark wollte einmal ein schönes Köln-Panorama sehen und wahrnehmen können. Es wurde hart in der prallen Sonne, aber ich schaffte es, durch zu laufen. Am Treppenanstieg stand der Ehegatte einer Läuferin mit einem zusätzlichen, privatem VP, den wir im Vorbeigehen gerne in Anspruch nahmen. Oberstes Gebot war es nun bei mir, die helle Kappe auf meinem Kopf regelmäßig nass zu machen, um meinen Thinktank vor Überhitzung zu schützen. Ein Ultra findet ja ab diesen Distanzen vorwiegend im Kopf statt. Wir genossen das Kölner Panorama mit den Kranhäusern und dem Dom. Die Eigentumswohnungen darin mit Rheinblick sollen bei etwa 6000 €/qm gelegen haben und sind heute wohl noch unbezahlbarer. Nach Verlassen der Brücke, die 1994 in damals schon nicht mehr üblicher Hängeseiltechnik verbreitert worden war, liefen wir wieder Richtung Susannes berühmtem VP. Kurz hinter der Brücke trifft der rechtsrheinische Grüngürtel auf das Rheinufer, hier gabelten wir Rolli, den Dealer auf und liefen einen kurzweiligen Kilometer beieinander. Irgendwie wollten wir das eigentlich bis zum VP Susanne durchhalten, jedoch ging uns der Dealer irgendwie nach hinten verloren. Laufend standen irgendwelche Kreidesprüche auf dem Asphalt „VP Susanne noch 1 km“ und so, tatsächlich war es aber irgendwie weiter. Das nervte dann ein wenig, obwohl es gut gemeint war. Aber hier hatte ich eine Art „Mittagspause“ von gut einer halben Stunde eingeplant. Unserer Planzeit waren wir eh weit voraus, aber wer weiß, wozu es noch gut sein würde. Susanne hatte Planschbecken voller Wasser aufgestellt, meine Schuhe und Socken mochte ich aber nicht ausziehen. Wir wurden bestens umsorgt, leider war aufgrund einer plötzlich erforderlichen Streckenänderung und notwendiger Improvisationen und Ummarkierungsarbeiten längst nicht alle Köstlichkeiten, auf die ich gesetzt hatte, geliefert worden. Kann passieren, Susanne machte das mit liebenswürdigem persönlichem Einsatz doppelt wieder wett. Ein kühles Früh-Sport , ein Alkoholfreies halfen, die Flüssigkeitsspeicher aufzufüllen. Die Trinkblase wurde gefüllt, etwas gegessen, dann hieß es Abschied nehmen. Susanne hatte uns mitgeteilt, dass am Ende des Rheinufers in Langel 2 (Langel 1 lag ja im Norden auf der anderen Rheinseite) aufgrund einer Feuerwehr-Hochwasserschutzübung der Uferweg gesperrt sei. Es handelte sich hier um das 2016 nicht enden wollende Waldstück, wo sich ein Trampelpfad durch teilüberflutete Waldlandschaft schlängelte und das Klima damals wie heute wohl dem bei Khe-San in Vietnam alle Ehre gemacht hätte. Bereits damals wurde mein Lauf durch fortlaufend erforderliches Totschlagen von Mücken und anderem Insektenvolk behindert. Das wäre heute nicht anders gewesen. Ich hatte Mark bereits davor gewarnt, nun war ich froh, Entwarnung geben zu können. Die Strecke würde sich um etwas über 1 km verkürzen, auch darüber waren wir beide nicht böse. Wenn doch – eine Ehrenrunde im Ziel konnte man ja immer noch dranhängen. Macht man ohnehin nicht.

Also weiter Richtung Hundert-Kilometer-Marke. Wir hatten uns etwa 20 Minuten aufgehalten und somit weitere Zeit gut gemacht. In Zündorf erreichten wir die Gröv, einen Altrheinarm mit schönen Ausflugslokalen am Ufer. Wir bogen ab auf die Rheininsel irgendwo dort erreichten wir die 100 km. Mit kürzeren Geh- und längeren Laufpassagen hielten wir die Pace immer noch unter 8 Minuten, die 100 km erreichten wir nach 12:41 Stunden. Fand ich recht ordentlich, und Mark teilte meine Meinung. Ich gab mal wieder Flickis Philosophie „100 Kilometer sind die Hälfte von 100 Meilen, aber die zweite Hälfte ist länger“ zum Besten, von deren Wahrheit ich seit meinem ersten Hundertmeiler beim Mauerweglauf zutiefst überzeugt bin. Und wir hatten ja noch knapp 10 Kilometer „Bonus“ obendrauf. Alles Schwadronieren von „unter 24 Stunden“ würde sich in irgendetwas, jedenfalls nicht in Wohlbefinden auflösen, davon war ich überzeugt. Es war immer heißer geworden, nachmittags um 14 Uhr auch kein Wunder. Der gelbe Ball stand hoch am Himmel, der Schatten wurde rar. Auf dem offenen Deich hinter Zündorf Richtung Langel 2 knallte die Sonne ganz schön und gab Vorgeschmack auf die folgende „Todeszone Wahner Heide“. Wir fanden die Markierung, wo die Strecke geändert werden musste und liefen durch die Straßen von Zündorf. Hier stand die Luft bereits unerträglich, kaum ein Mensch war auf den Straßen zu sehen. Wir bogen ab in ein Wohngebiet. Wir wussten nun nicht, wo uns der nächste VP erwarten würde, eventuell könne er auch ausfallen oder unbemannt sein, war uns bei Susanne mangels besserer Information gesagt worden. Ich spähte in die Vorgärten, auf der Suche nach Bewohnern, die vielleicht gerade mit Wasserschlauch hantieren würden. Denn ich wollte mich gerne ganz nass machen, bevor wir in die Gluthölle der weiten Felder in der Wahner Heide eintauchten. Rechts hörte ich spielende Kinder und Wassergeräusche, ich ging auf das Grundstück zum Gartenzaun und bat die Eltern höflich, den Wasserschlauch benutzen zu dürfen. Nach kurzer Erläuterung ließ der Hausherr das im Schlauch vorgewärmte Wasser ins Planschbecken der Kinder laufen und reichte mir den Schlauch mit sprudelndem, kaltem Brunnenwasser an. Ich hielt mir das Brauseende über den Kopf, den Rucksack mit der Elektronik hatte ich abgenommen. Von Kopf bis zu den Füßen war ich patschenass und deutlich gekühlt, das tat richtig gut. ich bedankte mich, man wünschte uns viel Glück und weiter ging es.

Kurz hinter dem Ortsausgang wurden wir deutlich mit Sprühkreide auf einen Feldweg in die schattenlose Heide gewiesen, wir folgten dem Hinweis und waren wieder auf dem richtigen Track. Nach kurzem Stück bogen wir aber schon wieder links ab an einen anderen Ortsrand von Langel 2, dort befand sich dann wirklich der voll und bestens ausgestattete VP. Also nix mit unbemannt oder so. Wir waren hierhin nur noch marschiert, das war gut so. Bei 104,5 km hatten wir das Ding erreicht. Auch hier lief eine Gartendusche, unter die ich mich noch einmal stellte. Auch Andreas saß hier und sah nicht gut aus. Er war heute Nacht zusammen mit Dirk und einigen Ambitionen vorgeprescht. ich fragte nach Dirk und bekam zur Antwort, dass er ihn schon nach etwas mehr als 50 km habe ziehen lassen müssen und sich hier erst einmal ausruhte. Er sah nicht gut aus, wollte aber weiter. Wir brachen frisch gekühlt, auch Mark hatte sich angefeuchtet, wieder auf. Nun wurde es richtig heiß. leicht wellig zog sich ein schlechter Feldweg durch die Getreidefelder, der Wind kam mir vor, wie der laufende Föhn nach der Dusche. Wir marschierten stramm weiter. Der Plan sah hier Marschtempo vor. Andreas überholte uns, er hatte sich kurz nach uns aufgemacht und lief. Sah aber irgendwie unrund aus, sein Kopf ohne Kopfbedeckung war knallrot. Mir schien er auch nicht geradeaus zu laufen und wir waren marschierend kaum langsamer. Ich bin überzeugt, dass mein Körper bei diesen Temperaturen von 37 Grad im nicht vorhandenen Schatten bei Laufschritt viel zu viel Energie benötigen würde, den Körper herunter zu kühlen, so beließen wir es konsequent beim Gehen. Auch wenn, man nun natürlich nicht mehr so vorankam. In den kommenden Abend- und Nachtstunden würde man sehen, ob man noch wieder anlaufen könnte.

So kamen wir ganz gut durch die Hitze. Im Dörfchen Libur inmitten der „Todeszone“ war ein unbemannter VP, aber auch hier lief eine Gartendusche und standen neben Wasser Kästen mit Früh-Sport. Andreas, der den VP fast zeitgleich mit uns erreichte, und Mark hatten sich auf die Bank gesetzt, so blieb für mich die Stufe zum Eingang, die natürlich entsprechend niedriger war. Beim Aufstehen passierte dann das Malheur. Ein stechender Schmerz fuhr durch mein Knie. Schlagartig wurde ich an den Mauerweglauf 2015 erinnert. Dort hatte ich mich mangels Sitzgelegenheit auf einen Sixpack Wasserflaschen gesetzt, danach auch Knieprobleme bekommen, die mich die letzten 20 km zum Gehen gezwungen hatten. Ich ärgerte mich über meine Dummheit, denselben Fehler hier nach 4 Jahren wiederholt zu haben. Nach dem VP testeten wir kurz einmal das Anlaufen, aber genauso wie damals in Berlin ging es erst einmal nicht. Aber wir wollten ja eh durch die Felder marschieren, danach würde der Anstieg durch den Königsforst nach Bensberg kommen, da würde auch nicht gelaufen werden. Vielleicht ging es ja danach wieder. Nach 112 km und gut unter 15 Stunden hatten wir die Todeszone verlassen, zwei längere und eine kürzere Pause eingelegt. Nun ging es in den Nachmittag, nächste Station für den Kopf wäre dann Schloss Bensberg. Vor dem Ortseingang Wahn war die Straße, auf die uns der Track führen wollte, mit einem Schotterhaufen zu gekippt. Also liefen wir wenige Meter weiter zur Hauptstraße, bogen dort ab und durchquerten Wahn dort, immer wenige Meter wohl parallel zu Track. Ob das jetzt technische Abweichung war oder ein falscher weh wussten wir nicht und war uns auch egal, kürzer als der Track war es in keinem Falle. Nach zwei Kilometern rechts ab, dann hatten wir die Spur wieder. Heiß war es immer noch. Zwei nette Damen hatten einen kleinen privaten VP am Straßenrand aufgebaut, den wir gerne kurz in Anspruch nahmen. Wir hörten, dass erst so 5 Läufer durch wären. Das baut natürlich richtig auf, wir waren also für die Verhältnisse wirklich flott unterwegs. Kurz nach der Unterquerung der A59 ging es endlich wieder in ein Waldstück, das war mir jetzt vom letzten Veedels-Verzäll von vor 14 Tagen wieder vertraut, wenn auch nicht in guter Erinnerung, dann da war ich echt schlecht drauf gewesen. So fanden wir auch den Weg am Sportplatzzaun entlang problemlos, hinter dem Wäldchen dann der nächste „richtige“ VP von Michael Irrgang und der LG Ultralauf. Hier auf dem Schulhof gab es Sitzgelegenheit, alles an Verpflegung, was das Herz begehrte und sogar einen Sanitätsdienst. Ich bat Michael, auf Andreas zu achten, der in der Wahner Heider alles andere als gut auf mich gewirkt hatte und den wir nur zurücklassen konnten, weil nun sukzessive immer mehr Wanderer und folgende Läufer kamen, so dass keine Gefahr bestand, wenn er ernste Probleme bekommen würde.  Gestärkt mit Melone, Weizen Alkoholfrei, Nüssen und etwas Fruchtgummi ging es dann weiter. Eine volle Viertelstunde hatten wir pausiert. War jetzt auch egal. Andreas war auch wohlbehalten angekommen. Irgendwie war uns nicht bewusst, dass nun fast 20 Kilometer kein VP folgen würde. Die würden sich ziehen. Anlaufen ging wieder, das Stechen in meinem Knie hatte sich wohl herausgewandert. Glück gehabt, dachte ich mir nicht wissend, was noch folgen sollte. Mein innerer Checkup nach 116 km in 15 1/2 Stunden kam zu guten Ergebnissen. Klar war ich müde, aber die „Todeszone“ hatte ich durchnässt ganz gut überstanden, ich fühlte mich nicht viel schlapper als 4 Stunden zuvor. Und es waren nur noch etwas über 50 Kilometer, es würde erst einmal Wald folgen, danach die Sonne weg sein und es hoffentlich kühler werden. Vielleicht konnten wir dann wieder laufen? Wir kreuzten in Grengel den Zubringer zum Flughafen und waren im Königsforst, die erste Etappe hier führte und noch über Waldwege. Das Wandertempo war noch ordentlich, die 10er Pace wurde noch unterschritten. Bei Querung der A3 stand uns ein Hochzeitspaar samt Fotografen im Wege, welches sich ablichten ließ. mit allen guten Wünschen crashten wir das Foto und marschierten vorbei. Hinter der Autobahnbrücke stand die leere Hochzeitslimousine. Heiraten bei dem Wetter? Gibt schöneres, aber besser als im Regen. Brauchte ich mir nach 28 Ehejahren keine Gedanken mehr darum zu machen.

Dann war Schluss mit Lustig. Da der Königsforst Naturschutzgebiet ist, hatten es die Organisatoren nicht genehmigt bekommen, den Lauf in den Abend und Nachtstunden hindurch führen zu dürfen. Der Genehmiger stellte sich wahrscheinlich einen Läuferpulk von 100 und mehr Läufern und Wanderern vor, welche lärmend durch die Wege trampelten und Bambi und Co verschrecken würden. Dass da nur ganz vereinzelte, schweigsame Gestalten im Zombie Walk durchtorkeln würden…lassen wir das, es ist so und so zweigten wir auf den Radweg der Bundes-oder Landstraße ab, ist ja auch egal. Verkehr herrschte hier jedenfalls wie auf der Autobahn. Und es ging bergauf. Da wir 14 Tage zuvor durch den Königsforst über den Monte Trödelöh, die höchste Erhebung Kölns gelaufen waren, war mir dieser Abschnitt wieder völlig unbekannt. Je länger ich hier marschierte, desto weniger traurig war ich aber darüber. Dschmmmm, Dschöm, Röhhhhr. Autos und Motorräder (Warum muss deren verdammter Auspuff eigentlich immer so einen Lärm machen?) ohne Pause rauschten an uns vorbei. Ich weiß nicht, ob die alle zu schnell fuhren, ich selbst wäre hier mit dem Auto wohl auch nicht anders unterwegs gewesen, als Fußgänger (Läufer konnte man nun wohl nicht gerade sagen) geht es einem gehörig auf den Senkel. Pace trotz stetigem bergan immer noch zwischen 9 und 10 Minuten. Sehr gut. Wir waren auf Ralph aufgelaufen, der wohl am Morgen in der Dunkelheit schon ein Stück mit uns Richtung Mülheimer Brücke gelaufen war. Hatte ich aber bei den Stirnlampen um mich herum nicht mehr so auf dem Schirm. Ralph schloss sich uns dann mal an, jetzt waren wir zu dritt. Ralph kam aus der Gegend von Frankfurt, so waren wir nun geografisch schon ganz gut in Deutschland verteilt. Frankfurt – Niederrhein – Potsdam. Die stetig ansteigende Landstraße zog sich wie Kaugummi, es war drückend warm, auch wenn der Wald uns teilweise vor direkter Einstrahlung der nun etwas tiefer stehenden Sonne schützte. An einem einmündenden Waldweg sahen wir einen Läufer liegen, direkt an der Absperrschranke. Er lag auf dem Rücken und rührte sich nicht. Wir fragten, ob alles in Ordnung sei, der Mann sah ziemlich fertig aus. Ja, es war soweit alles in Ordnung. Wir boten ihm an, mit uns weiter zu marschieren und er nahm das Angebot an, wahrscheinlich brauchte er einen Anstoß, um wieder in die Gänge zu kommen. Hinter einer Kurve tauschte endlich ein Ortschild auf. Bensberg? Diesen Weg entlang der Landstraße kannte ich ja nicht, denn 14 Tage zuvor beim Veedels Verzäll waren wir ja dem eigentlichen Kölnpfad durch den Königsforst und über den Monte Trödelöh, Kölns höchste Erhebung, gelaufen. Ein Blick auf die Uhr verriet jedoch, dass wir erst etwas mehr als 126 Kilometer hatten, der VP in Bensberg erst bei 134 lag und es noch weitere 8(!) Kilometer sein sollten. Puh. Vor dem Ort bogen wir in den Königsforst ab, die Ortsumgehung durch den Wald war uns scheinbar erlaubt worden. Das Kaff hieß Forsbach, war mir jetzt aber auch ziemlich egal. Gar nicht egal war mir, dass ich nach einem tiefen Zug aus meinem Trinkschlauch Vakuum ansog. Die zwei Liter Iso waren weg. Nun, wir hatten also für knapp 10 Kilometer seit dem VP von Michael Irrgang jetzt fast 1:50 Stunden gebraucht, dabei hatte ich 2 Liter Flüssigkeit konsumiert, obwohl ich am VP noch 0,5 l Weizen Alkoholfrei geext hatte. Jetzt blieb für knapp 8 km die eiserne Reserve in Gestalt der 0,5 l Wasser in meiner Softflask, die ich mir eigentlich hätte über den Kopf schütten wollen. Also hieß es nun, sich das Ganze Schluck für Schluck einzuteilen. Genau so etwas hatte ich eigentlich vermeiden wollen, aber uns wurde erst hier unterwegs klar, dass gut 18 Kilometer zwischen den beiden VP lagen und diese fast ausnahmslos im Anstieg zu bewältigen waren, das dauert dann halt mal länger. Ein Wasserdepot irgendwo am Waldweg wäre echt hilfreich gewesen, zumal es keine anderen Versorgungsmöglichkeiten gab. Unser „4.Mann“ verabschiedete sich schon wieder, wir waren ihm zu schnell. Er versicherte aber, es bis nach Bensberg zu schaffen und dort voraussichtlich aussteigen zu wollen. Wir glaubten es und ließen ihn zurückfallen. Weiter ging es, aus dem Wald heraus und wieder auf unseren geliebten Radweg an der Landstraße. Dschöm, dschümm, rööööhr, rrrrmmmm. Weiter ging die unsägliche Raserei neben uns. Mir kam es vor, als ob ich auf einer Million kleiner Steine laufen würde. Ich suchte verzweifelt nach einer Sitzgelegenheit, um meinen Schuh einmal auszuziehen, fand aber keine. Leitplanken gab es immer nur auf der anderen Straßenseite, wo aber kein Fuß- oder Radweg war. Irgendwann lag endlich mal ein Baumstamm am Wegesrand, ich setzte mich. Ralph und Mark marschierten weiter vor, ich wollte nachkommen. DA waren aber kaum Steine in meinem Schuh. Ich zog nochmal den Socken aus, da sah und fühlte ich die Bescherung. Unter meinen beiden Fußballen schienen sich gerade monströse Wasserblasen zu bilden. Na super. Ich ließ die Socken aus, stopfte sie mir in die Hosentaschen und marschierte barfuß in den Laufschuhen hinter den beiden her. Mal sehen, ob das helfen würde. Tat es nicht. Zum Durst kamen jetzt auch noch zunehmende Beschwerden beim Laufen. Gehen ging, aber ein testweises Anlaufen um die beiden einzuholen zeigte, dass daran wohl nicht mehr zu denken war. Zu schmerzhaft war der Ballenabdruck im Vorfuß. Irgendwann hatte ich die beiden wieder erreicht, auch sie klagten über Blasen an den Füßen. Endlich, gegen 18:30 Uhr, erreichten wir das Ortschild von Bensberg, ab hier war mir der Weg wieder bekannt. Nur noch etwa einen Kilometer durch den Ort, dann waren wir am Bergbaumuseum, wo Thomas Wimmer und seine „Masters of the seven Bridges“ den VP betreuen. Der VP hat den besonderen Charme, dass man zunächst einmal eine halbe Etage eine Außentreppe hochsteigen muss, war mir nach den 15 Kilometer Anstieg aber auch egal. Essen war schwierig, heiße Suppe wollte ich nicht, Bratwurst vom Grill gab es einen VP weiter. Also ein paar Kleinigkeiten wie Melone zu mir genommen und viel getrunken. Meine Trinkblase wurde mir von fürsorglichen Helfern wieder komplett mit Iso gefüllt, ebenso meine leere Softflask mit Wasser. Besonders freute ich mich über Eli, die mich freudig begrüßte und mir einige Dinge anreichte. Es ist doch immer wieder schön, bekannte Gesichter zu sehen, gerade, wenn man sie schon lange nicht mehr getroffen hatte.

Ich resümierte mal wieder mit meinen beiden Kollegen. Es war jetzt gegen 19 Uhr, wie hatten 133,5 km auf dem Tacho und demnach noch etwa 35 km vor uns. Immer noch gut in der Zeit, aber die letzten 20 Kilometer hatten echt Körner gekostet und uns Blasen beschert. Sonst habe ich nie Probleme mit Blasen, selbst die TorTour de Ruhr hatte ich im selben Schuhmodell ohne überstanden. Aber: Laufen und Gehen, vor allem Bergab, sind wohl etwas anderes für die Füße. Dadurch, dass seit Beginn der „Todeszone“ Wahner Heide nicht mehr lief, sondern marschierte, noch dazu einen langen Anstieg nach Bensberg, kam es halt zu mörderische Blasen an die Füße. Bergauf – nasse Füße und marschieren = Blasen, so einfach ist das wohl. Aber Ursachenforschung half nun nicht weiter. 35 Kilometer, meine Füße ein einziger Alptraum. Das konnte 7 Stunden und mehr bedeuten, und die Herausforderung, das so lange mit Scherzen durchzustehen. Das sagte ich auch meinen Kollegen, denen es ähnlich ging. Aber ich wollte das Ding, die 133 km bis dahin liefen so gut und sollten nicht umsonst gewesen sein. Socken aus hatte nicht geholfen, die zog ich später in Bergisch -Gladbach wieder an. Aber wir waren zu dritt und hatten alle dieselben Probleme, humpelten also weiter wie die Versehrtensportgruppe. Zunächst noch etwas hoch durch die Altstadt, vorbei am zum Schloss Hotel umgebauten Schloss Bensberg. Ralph erzählte, dass er hier bereits einmal dienstlich übernachtet hatte, es sei ein luxuriöser Kasten. Am Ortsrand, wo es erst einmal eine Treppe hinab ging, hatten wir einen ersten Blick auf Köln von oben. Da es leider sehr diesig war, konnten wir nicht wirklich viel erkennen. Hier wich die Strecke wieder vom Veedels-Verzäll ab, wir liefen von vorne statt von hinten am Freibad vorbei, dahinter aber bald wieder hinauf in den Wald. Auch das ging mir schon auf den Senkel, warum laufen wir den dann zum Streckencheck, wenn am Ende wieder alles anders ist? Der schöne, ganz steile Anstieg sollte noch folgen. Er kam aber irgendwie nicht. Wir kamen irgendwie ein Stück weiter aus und innerlich frohlockte ich schon, dass uns der letzte harte Schlussanstieg erspart werden würde. Denkste! Es gab eine bereits auf dem Track erkennbare Sinnlos-Schleife, von denen noch weitere folgen sollten, die uns leider den Weg hinaufführte, den wir 14 Tage zuvor im Wettlauf mit einer Kuh auf der Weide am Zaun entlang bergab gelaufen waren. Leider dieses Mal bergauf. In der prallen Sonne war es genau das, was ich nicht mehr brauchte. Man dachte, man hätte die Anstiege hinter sich, um anschließend einen bekannten Downhill dann doch noch einmal hoch zu müssen! Was sollte der Mist? Ja, man wird ungerecht den Veranstaltern gegenüber, sie werden es mir nachsehen. Wie ich es jetzt auch nüchtern anders sehe. Aber nach 20 Stunden, davon 10 durch sengende Hitze, ist man nicht mehr objektiv. Der anschließende Ortsdurchgang war auch nicht gerade das Highlight der Strecke. Ralph schlug vor, etwas Musik vom Handy laufen zu lassen. Er bot Ray Charles an, war mir völlig egal, solange es nicht Helene war. Der EDEKA am Straßenrand hatte hier schon geschlossen. Bei uns hat der bis 21 Uhr geöffnet, für ein Calippo Cola wäre ich jetzt echt zu haben gewesen. Kurz darauf konnten wir dann den Punkt sehen, wo wir in der Seitenstraße bei 137,5 km auf die ansteigende Kuhweide abgebogen waren. Jetzt hatten wir km 140 und waren effektiv 50 Meter weitergekommen. Das verstehe wer will, ich nicht. Es ging immer weiter, die 5 km/h hielten wir wohl so gerade noch ein. Von Pace wollte ich nicht mehr reden, die Schmerzen unter den Füßen waren aber hier auf Asphalt und Gehwegplatten erträglich. Leider bildeten sich, wohl durch vorsichtigen und falschen Fußaufsatz, an immer mehr Stellen fühlbar weitere Blasen. Das konnte noch heiter werden.

Irgendwann ging es wieder in den Wald, klettern über Baumstämme, zweifeln am richtigen Track, dann kamen wir endlich in die Nähe der Eishalle Bergisch-Gladbach. VP der Laufbrigade Oberberg und der Familie Bremicker. Sitzen, kühles Früh-Sport, eine Bratwurst im Brötchen, serviert vom Boss himself. Das Brötchen bekam ich nicht mehr hinunter, aber die Wurst tat gut und füllte den Magen. Es war kurz vor 21 Uhr am Abend, langsam dämmerte es ein wenig, zumindest im Wald. Und wir hatten fast 144 km geschafft. Der Rest geht jetzt auch noch irgendwie, es muss gehen. Bisher war der Blasenschmerz beim Gehen erträglich gewesen, gesprochen hatten wir drei nicht mehr allzu viel, aber es tat dennoch gut, nicht allein unterwegs zu sein. Nach gut einer Viertelstunde wollte ich aufbrechen, Ralph und Mark waren irgendwie noch nicht soweit. ich sagte, dass ich langsam vorhumpeln würde, die beiden würden mich sicher bald eingeholt haben. Also allein weiter. Ich lief auf einen Wanderer der 171 km auf. Der war seit 8 Uhr am Freitagmorgen bereits unterwegs. Das ist so eine Nummer, die ich mir gar nicht vorstellen kann. Wir unterhielten uns eine Weile über die Aspekte des Ultrawanderns im Unterschied zum Ultralaufen, marschierten dabei relativ konstante 11 Minuten pro Kilometer. Ging, aber so konnten die beiden mich nicht einholen. Immer wieder blickte ich nach hinten, sah aber niemanden mehr. Nach wenigen Kilometern ließ der Wanderer auch wieder abreißen, ich war im selbst im Gehen zu schnell. Die Sonne war nun völlig verschwunden und im Wald wurde es bereits finsterer. Aber leider nicht kühler. Dennoch ging es mir konditionell wirklich gut. Ich versuchte, doch einmal anzulaufen, gab es aber wegen unerträglicher Schmerzen sofort wieder auf. Darüber ärgerte ich mich nun besonders. Ich hätte jetzt wohl locker noch 500 m gehen/500 m laufen wie bei der TorTour absolvieren können und wäre entsprechend vorwärtsgekommen. Ging aber nicht. Wegen eigener Dummheit, die Füße mit zu duschen ohne an das geplante marschieren danach zu denken. Egal, ich war nun alleine im Wald. Allein mit meiner Sirnlampe, denn es war nun stockfinster geworden. Nachts allein im dunklen Wald, das hat schon etwas Meditatives. Man kann sich besser auf die Schmerzen bei jedem Schritt konzentrieren, das gute ist aber, dass man die Wurzeln und Löcher nicht so sieht, wo man gleich hineintreten wird und wieder jenen Druck auf die schmerzenden Stellen ausübt, den man bewusst eigentlich zu vermeiden sucht. Ein VP sollte noch folgen, so etwa 11 km vor dem Ziel. Der war nun das nächste Zwischenziel. Ein Wanderpärchen saß auf einer Bank im Wald und ruhte sich wohl aus. „Kommt mit Leute, keine 18 Kilometer mehr!“. Erst später realisierte ich an deren Startnummern, dass die wohl „nur“ die 35 km Wandertour gebucht hatten. Dann hatten die ja noch mehr als die Hälfte. Vielleicht wollten die ja auch nur die Gelegenheit im Wald nutzen….

Irgendwann, ich hatte aufgehört nachzudenken, wo ich gerade war, näherte sich von hinten langsam eine Stirnlampe. Die würde näherkommen, und das kam sie auch und irgendwann erkannte ich Mathias. Hätte nicht gedacht, dass die „Granate“ noch hinter mir war. Er marschierte ein kurzes Stück mit mir, wir konnten uns etwas unterhalten. Die Abwechselung tat gut, die Zeit verging schneller. Dann musste er aber weiter, mein Schritt war so gar nicht sein Rhythmus. So ist das. Irgendwann musst Du Dein Tempo laufen und Deine Pausen machen. So schön es mit anderen ist, irgendwann kippt das Pendel der gegenseitigen Anpassung zum Nachteil für den einen oder anderen. Ich fan es auch sehr schade um unser Dreier-Grüppchen, aber vielleicht würde ich Ralph und Mark ja am VP wiedertreffen. Irgendwann kam mir dann auch eine Frau entgegen, es war die Betreuerin des letzten VP. Sie wies mir den kurzen Weg zu den aufgestellten Klappstühlen. Ich sprach über meine Blasen, mein Geh Stil war ja auch wohl nicht mehr mitanzusehen, sie riet zum Aufstechen. Ich kramte eine Sicherheitsnadel heraus, während man mir fürsorglich die Getränkevorräte auffüllte. Ich kam aber kaum durch, denn die Dinger hatten sich unter die dicke Hornhaut des Fußballens gesetzt. Also ließ ich es bleiben, das sollte sich wohl als Vorteil erweisen. Und da waren auch Mark und Ralph wieder eingetroffen. Ich zog in Ruhe Socken und Schuhe wieder an, 11 km würde das nun auch noch gehen. Nun hatte ich nichts dagegen, meine Pause zu verlängern und auf die beiden zu warten, die sich aber auch nicht mehr ganz so lange aufhalten wollten. Die eineinhalb Stunden allein im Wald hatten mir gereicht, zu dritt würde es wieder schöner werden. Wurde es nicht, aber das lag nicht an den beiden. Ich versuchte es mal wieder mit Musik, diesmal bunt durchgemischt von meinem Handy. War aber irgendwie nix, nach kurzer Zeit machte ich das Ding wieder aus. Wir wurden statt schneller irgendwie langsamer. Über 12 Minuten pro Kilometer

Mit der Devise „Schneller tut genauso weh wie langsamer, dauert nur noch länger“ ging es auch nicht mehr schneller weiter. Quälend langsam gingen die Kilometer von den Uhren. Immer wieder mussten wir Orientierungspausen machen, wenn der Weg sich gabelte oder eine der Uhren „Track Abweichung“ anzeigte.  Kilometer können verdammt lang werden, wenn 5 km/h schon eine Herausforderung werden. Aber aufgeben war nie eine Option für uns. Die Wege wurden grottenschlecht, eine schräge Fußstellung am Boden oder ein Stein verursachte uns höllische Schmerzen. Wir sprachen auch nicht mehr viel, aber es tat gut, nicht alleine zu sein. Endlich hatten wir es geschafft. Zumindest der Punkt war erreicht, wo der Kölnpfad auf den „Zuweg“ zur Trail City am Sportplatz Thuleweg, dem Start und Ziel des Wettbewerbes, traf. Auch dieses Stück zog sich noch scheinbar endlos, es waren ja auch über 3 Kilometer, was über eine halbe Stunde bedeutete. Dann hatten wir endlich das kleine Wäldchen gegenüber dem Sportplatz erreicht. Nach einem kleinen Schlussverlaufer, was auch sonst, noch 200 m vor dem Ziel im Wald drehten wir noch gut 500 m „Ehrenrunde“ das war uns aber jetzt auch egal. Zu dritt nebeneinander überquerten wir die Ziellinie. Glücklich, aber nicht euphorisch. Es war etwa 2:45 Uhr am Sonntagmorgen und wir waren wieder dort, wo wir am Freitag am 24 Uhr losgelaufen waren

Die ganz große Zieleuphorie kam irgendwie bei mir nicht auf, kein Riesenjubel, obwohl es mein zweitlängster Lauf war und ich dieses Finish unbedingt gewollt hatte. Ich war wohl zu platt. Claudia wartete schon auf mich, kein gutes Zeichen. Denn überholt hatte sie mich ja nicht. Sonnenstich, aus durch den Sanitäter in Bensberg bei Kilometer 77 von 110 km. Sie schien es aber entspannt zu nehmen, Sonnenstich ist eine echte Gesundheitsbeeinträchtigung, da kann man nichts machen. „Das war mein härtester Lauf, dagegen war die TorTour de Ruhr doch ein Kindergeburtstag“ Bereits, als ich diese Worte aussprach und von irgendwo ein „Lass das nicht den Jens (Witzel, Organisator und Vater der TorTour) hören“ kam, relativierte ich schnell und richtig, dass es damals 2016 ja auch fast 30 Grad kühler dabei war. Grundsätzlich bleibe ich aber bei den gegebenen Umständen bei meiner Aussage, wobei „Kindergeburtstag“ dann vielleicht doch etwas übertreiben ist. Ich war einfach nur müde und fertig, trank noch ein Früh-Sport und konnte mich kaum aufraffen, meine Duschsachen aus dem Zelt zu holen. Als ich im Vorraum des Zeltes hockte und mir die verschwitzten Sachen auszog, war mir klar, dass kein Gestank der Welt mich mehr hier herausbringen würde. Ungeduscht lag ich kurz darauf im Schlafsack und versank in komatösen Schlaf, meine Frau mochte es mir verzeihen.

Der Schlaf war gegen halb acht aufgrund beginnender Sonneneinstrahlung und aufkommenden Lärms um uns herum schon wieder beendet, aber vier Stunden Tiefschlaf können schon Wunder bewirken. Wir sprachen kurz über unsere Erlebnisse. Kraft- und ernährungstechnisch hatte ich es mir super eingeteilt, mein schnelles marschieren allein ab Bergisch-Gladbach zeigte, dass ich hätte laufen können, wenn ich keine Blasen gehabt hätte. Aber eine Zeit irgendwo zwischen 26:40 h und 26:45 h bei der Hitze für knapp 170 km ist jetzt wirklich nicht schlecht, wie ich immer noch finde. Nach Auswertung der Ergebnisse stellte sich heraus, dass wir drei auf Positionen 8,9 und 10 hereingekommen waren und insgesamt nur 27 Läuferinnen oder Läufer angekommen sind. Auch das wertet unsere gemeinsame Leistung auf, wie ich finde. Dennoch bin auch heute, sechs Wochen nach der Veranstaltung, wenig euphorisch, sondern einfach nur erleichtert, dass ich dieses Ding nun hinter mir habe. Es war weitgehend eine Sache des Willens und der Motivation. Dank an alle, die mich verfolgt und meine Kommentare unterwegs und Fotos kommentiert haben. Hatte ich an den VP immer gelesen und hat wahnsinnig geholfen. Ihr seid spitze!

Muss ich diese Veranstaltung nochmal besuchen? Ja, weil es ein tolles Event mit Kultcharakter ist, vielleicht gerade wegen der schwierigen und oft eintönigen Strecke, der Mischung aus Großstadt und Wildnis so nahe beieinander und wohl auch wegen der zweiten Nacht. Was den Lauf aber einzigartig macht sind die Menschen, die ihn ausmachen. Die beim Veedels-Verzäll bereits zusammentreffen, die den Lauf zu dem machen, was er ist. Familiär, nicht elitär. Tom und Thorsten, der sich jetzt ja leider zurückziehen wird, haben da etwas Grandioses auf die Beine gestellt, was für mich ähnlichen Status erreicht hat wie die TorTour de Ruhr. Wenn die TorTour-Community so etwas wie eine Bruderschaft ist, welche aus Crews und Teilnehmern und Helfern besteht, zwischen denen immer irgendwie eine besondere Verbindung steht, dann ist die Kölnpfad Community eine Familie. Mit allen Stärken und Schwächen. Darum werde ich mich, wenn es geht, weiter in der einen oder anderen Form einbringen. Aber nicht mehr mit den 171 Kilometern, dabei bleibe ich.

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