Manchmal muss man spontan sein

Mittwoch, 30. August. Unser Kumpel Christian meldet sich bei uns und fragt, ob wir nicht am kommenden Sonntag spontan in Münster eine 2er-Staffel übernehmen wollen. Die Teilnehmer hätten abgesagt und er hat leider eine 2er-Staffel ohne Besetzung. Christian ist „noch!“ Soldat in der Münsteraner Kaserne, die direkt neben dem Schlosspark liegt: dem 1. German-Netherlands Corps. Und dieses Corps startet in jedem Jahr mit vielen Einzelläufern und Staffeln beim Volksbank Münster Marathon. Irgendwer kann immer nicht antreten und so bleibt schon mal ein Startplatz unversorgt. Wir freuen uns und sagen natürlich zu.

Kerstin und ich haben ja schon an Staffelläufen teilgenommen, aber bisher immer an Staffelläufen, bei denen Start, Ziel und Wechselpunkt an der gleichen Stelle lagen. Damals in der Schalke-Arena oder in Beckum war das auch so. Aber jetzt bei einer großen Marathonrunde durch eine Stadt wie Münster ist die Logistik eine Herausforderung. Es gibt allerdings Shuttlebusse, die die Staffelläufer zu den Wechselpunkten hin- und zurückfahren. Diesem Service vertrauen wir uns an. Trotzdem bleibt eine gewisse Nervosität. Wird das alles klappen? Finden wir die richtigen Busse überhaupt? Wir schmunzeln über uns selbst, dass wir aufgeregt sind. Nach so vielen Marathons und sonstigen Läufen, erlebt man doch immer wieder was Neues.

Was wir ebenfalls lange nicht mehr gemacht haben, ist ein Wettkampf ohne Videokamera. Bei so einem Staffellauf läuft man ja nicht nur für sich, sondern für das Team, auch wenn es nur aus uns beiden besteht. Und so nehmen wir uns vor, am Sonntag mal alles zu geben, was wir haben. Ohne Video… einfach nur laufen. Blöderweise haben wir durch unseren LIDOMA in den letzten Wochen gar nicht viel gemacht. Ich sogar zwei Wochen gar nichts. Keine Ahnung, was wir am Sonntag so schaffen. Wir lassen den Tag mal auf uns zu kommen.

Sonntag, 3. September. MüMa-Tag. Wir kommen schon recht früh in Münster an. Da wir ja für das 1. German-Netherlands Corps starten, können wir in der Kaserne parken. Das erspart uns die Sucherei, aber das Parken ist in Münster eigentlich nie ein Problem. Man parkt normalerweise direkt neben dem Startfeld auf dem Schlossplatz. Wir bekommen von Christian unsere Startnummern und -unterlagen und machen uns langsam fertig. Ein tolles Frühstück könnten wir hier auch noch zu uns nehmen, aber das machen unsere Verdauungseinheiten erfahrungsgemäß nicht mit. Gefrühstückt haben wir daher schon zu Hause.

Um 8:45 Uhr stellen wir uns vor der Kaserne zu einem Gruppenbild auf. Und dann geht es langsam zum nahen Startfeld. Pünktlich um 9:00 Uhr gehen die Marathonläufer auf die Reise. Als sie alle unterwegs sind, stellen wir uns auf. Ich übernehme die ersten beiden Abschnitte, also Kilometer 0 bis 21,1. Da der Staffelmarathon eigentlich für vier Läufer ausgelegt ist, bekomme ich die Startnummern für den ersten und den zweiten Staffelläufer an den Bauch. Mit zwei integrierten Chips. Bei Kerstin das gleiche. Sie trägt die Nummern 3 und 4. Sie darf die zweite Hälfte absolvieren und am Schluss den Zieleinlauf genießen. Zusätzlich tragen wir auf dem Rücken ein Schildchen mit der Aufschrift „Staffelläufer“. Der Sinn dieses Schildchen ist ja, dass sich die ganzen Marathonläufer nicht darüber wundern, dass sie von Staffelläufern überrollt werden, die ja immer wieder frisch auf die Strecke gehen. Ich schmunzle ein wenig darüber, dass wir solch einen Hinweis tragen, denn dies beinhaltet ja die Vermutung, dass wir irgendeinen Marathonganzläufer überholen, der 15 Minuten vor uns gestartet ist.

Wir treffen noch viele Lauffreunde und quasseln ein wenig. Die Zeit vergeht schnell und um 9:15 Uhr starte ich auf die erste Etappe. Ich winke Kerstin noch zu und dann geht’s los. Sie wird nun mit dem Shuttlebus zum Halbmarathonpunkt fahren und dort auf mich warten. Die Busse konnte man schon vom Startfeld aus sehen. Wir haben uns also unnötig Sorgen gemacht. Das ist alles ganz einfach.

Ich laufe auf den ersten zwei Kilometern durch das Gewühle und habe total Probleme damit, mein Tempo zu finden. Immer wieder schaue ich auf meine Uhr und fühle in mich hinein. Was ist das Tempo, das ich 21,1 km lang halten kann. So schnell, wie es geht. Aber nicht zu schnell. Ich habe da gar kein Gefühl mehr für. Und so teste ich mich zwei Kilometer lang. Was macht meine Atmung? Wie fühlt es sich in den Beinen an? Irgendwann entscheide ich dann einfach: Das ist es jetzt. So laufe ich weiter.

Ich sehe bei Kilometer 3,5 einen Trompeter am Streckenrand und bremse direkt ab, bis mir klar wird, dass ich heute gar keine Kamera dabeihabe. Kurze Zeit später laufen wir auf eine Kirche zu. Darunter die vielen Läufer. Ein schönes Bild. Auch hier denke ich sofort: Das filme ich mal kurz! Ich muss mich echt daran gewöhnen, heute einfach nur zu laufen und schöne Eindrücke einfach nur aufzusaugen und nicht im Video festzuhalten.

Bei Kilometer 6,5 überhole ich Gustav, den 6-Stunden-Besenläufer. Jetzt habe ich das Ende des 15 Minuten vor uns gestarteten Marathonfeldes erreicht. Und ab jetzt überhole ich in unregelmäßigen Abständen Marathonläufer und ich finde es jetzt gut, dass ich das Schildchen auf dem Rücken habe. Aus der anderen Sicht kenne ich das ja schließlich auch.

Mein Tempo habe ich inzwischen ganz gut gefunden. Immer, wenn nach jedem Kilometer meine Uhr vibriert, schaue ich drauf und passe meine Pace an. Auf der Strecke treffe ich auch noch viele Lauffreunde, die den ganzen Marathon laufen. Ich klapse ihnen kurz auf die Schulter, grüße sie und laufe einfach weiter. Auch das ist etwas, was ich sonst nicht so mache. Normalerweise würde ich immer kurz anbremsen und mich auf ein kurzes Gespräch einlassen. Aber heute nun mal nicht. Schließlich wartet Kerstin auf mich.

Am ersten Staffelübergabepunkt „kämpfe“ ich mich durch die sehr enge Gasse. Überall warten die zweiten Läufer auf ihren ersten. Jeder möchte die beste Sicht auf die Heranlaufenden haben und so wird die Gasse immer enger. Nach dem ersten Staffelübergabepunkt werde ich erstmal von den frischen zweiten Läufern überrollt, aber nach einiger Zeit relativiert sich das wieder. Bei Kilometer 12,5 überhole ich die 5-Stunden-Brems- und Zugläufer. Das tut mir gut, denn auch sie sind ja 15 Minuten vor uns gestartet.

Die Kilometer vergehen. Beim Blick auf meine Uhr bei Kilometer 18 merke ich aber, dass ich definitiv langsamer geworden bin. Mehr geht nicht mehr. Aber bis zum Wechselpunkt ist es nicht mehr weit und so versuche ich, mein Tempo irgendwie zu halten. Ich überlaufe schließlich die Zeitmatte beim Halbmarathon und kurz danach kommt endlich der Wechselpunkt. Ich laufe in den Wechselkanal, der genauso eng ist, wie der erste vorhin. Und dann entdecke ich Kerstin, die schon sehnsüchtig auf mich wartet. Wir wechseln unser Handbändchen, das hier als Staffelstab gilt, und schon läuft Kerstin los. Sie kämpft sich durch den engen Wechselkanal und freut sich schließlich, als sie endlich auf der richtigen Laufstrecke ist. Nun beginnt ihr Kampf mit dem Finden der richtigen Pace, mit dem inzwischen recht warmen Wetter und mit der Strecke überhaupt.

Ich setze mich erstmal mit einer kleinen Wasserflasche auf eine Bank und schnaufe mich aus. Boah. So einen Lauf gegen die Uhr, mit Zeitdruck und mit dem Gefühl, richtig kämpfen zu müssen, hatte ich lange nicht mehr. Ein ganzer Marathon mit Videokamera in der Hand ist irgendwie entspannter. Dann schlendere ich zum Shuttle und lasse mich zurück in die City bringen. Auch das klappt perfekt. Ich hole die Staffelshirts für uns ab und marschiere dann zum Zielbereich. Dort platziere ich mich rund 350 m vor der Ziellinie, setze mich am Streckenrand auf den Boden und warte nun auf Kerstin. Mit dem Handy kann ich sie verfolgen. Alle 5 km wird mir ihre Zeit angezeigt und ich rechne mir bei Km 30 und auch bei Km 35 aus, dass sie mein Tempo hält. Sie läuft ungefähr so wie ich. Das ist klasse. Für unsere Verhältnisse sind wir flott unterwegs.

Als mir Kerstins Km 40 angezeigt wird, rechne ich mir aus, dass sie in ungefähr 10 bis 11 Minuten bei mir sein müsste. Auch die Riesenerdmännchen warten mit mir. Und dann sehe ich sie endlich angelaufen kommen. Wir begrüßen uns kurz und dann genießt sie ihren Zieleinlauf. Einen der schönsten, die ich kenne. Die Ankunft auf dem Prinzipalmarkt ist schon wirklich einzigartig. Unser erster Staffelmarathon ist geschafft. Yippieh.

Im Zielbereich gibt es Obst und Getränke zur Stärkung und zum Auffüllen der Speicher. Und auch hier treffen wir viele Lauffreunde, die heute mit uns unterwegs waren. Wir beglückwünschen uns gegenseitig und freuen uns über den tollen Marathontag. Jeder auf seine Weise. Jeder hat seine eigene Geschwindigkeit, seine Grenzen, die ausgelotet werden wollen, seine Ziele, die erreicht wurden oder auch nicht. Überall sieht man erschöpfte aber glückliche Gesichter.

Das ist Marathon. Die Königsdisziplin. Allein oder als Staffel. Marathon ist immer ein besonderes Erlebnis. Und in Münster noch mal viel besonderer. Auch mal ohne Videokamera. 😉

Ganz herzlichen Dank an Christian und an das 1. German-Netherlands Corps für die Staffelstartplätze. Und alles Gute für die neuen Aufgaben auf unbekannten Laufgründen. 🙂

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