… kriegen was auf die Bollen
Es ist inzwischen eine liebe Tradition geworden: Der inzwischen nur noch fast nördlichste Marathon Deutschlands auf der Insel Föhr. Immer am Wochenende vor Ostern wird auf der Insel gelaufen und so bietet es sich praktisch an, den Marathon mit einem Kurzurlaub zu verbinden. Ich war bisher bei allen Föhr Marathons dabei und so sind wir auch in diesem Jahr für ein paar Tage auf der Insel. Da ich zurzeit für den Mauerweglauf trainiere, schrubbe ich an fast jedem Wochenende einen Langen. Das Langlaufen steht im Moment eben im Vordergrund. Nicht das Tempo. Da wir vor zwei Wochen aber in Venlo waren und ich dort „nur“ einen Halben gelaufen bin und ich in der letzten Woche durch den Vortrag bei Lauffieber auf den Langen verzichtet habe, kam mir eine Idee in den Kopf. Eigentlich bin ich ja recht ausgeruht und trainiert habe ich in den letzten Wochen auch ganz ordentlich. Ich könnte ja mal versuchen, „unter 4“ zu laufen. Für mich ist das eine Baustelle. So einfach schaffe ich das nicht. Das ist schon echt eine Herausforderung. Aber es wäre cool, das mal wieder geschafft zu haben. Und so steht schließlich mein Ziel für den diesjährigen Föhr Marathon: Vorne steht eine 3!
Das Wetter scheint sehr gut mitzuspielen. So gutes Wetter hatten wir auf der Insel noch nie. Blauer Himmel, Sonne pur und für Föhrer Verhältnisse nur wenig Wind. Für westfälische Verhältnisse bläst er aber immer noch ganz ordentlich. 😉 Bei der Startnummernabholung am Vortag witzeln wir mit den Veranstaltern herum und sie sagen, dass sie den Marathon schon absagen wollten, da einfach zu wenig Wind vorhergesagt ist. 🙂 Die letzte Stärkung gönnen wir uns abends zusammen mit unseren Lauffreunden Claudia und Mario bei der Pasta Party in Midlum. Eigentlich kann jetzt nichts mehr schief gehen.
Am Sonntagmorgen fahren wir mit dem Shuttlebus von Wyk nach Midlum. Hier bereiten wir uns auf den Start vor und ich bin jetzt richtig guter Dinge. Das klappt heute. Auf dem Weg zum Startbereich stelle ich meine Uhr noch um. Auf der Anzeige habe ich nun als erste Anzeige meine Durchschnittspace. Ich muss einfach immer unter 5:40 min/km bleiben. Dann bin ich unter 4. Läuft bei mir.
Wir starten und ich suche direkt meine richtige Geschwindigkeit. Der Wind bläst von hinten und ist kaum merkbar. Nach einem Kilometer schau ich auf die Uhr und stelle fest, dass ich meine Pace gut getroffen habe: 5:25 steht auf der Anzeige. Gut unter 5:40. Mit Luft für die Verpflegung. Nach 5 Kilometern erreichen wir Wyk und laufen an der schönen Strandpromenade entlang. Zusammen mit dem blauen, sonnigen Himmel, der Wärme und dem nicht spürbaren Wind ist hier Urlaub pur. Hach… ist das schön. Das Laufen geht ganz leicht. Auch an dem nun folgenden langen Stück bis Km 15 am Deich entlang ist der Wind nicht wirklich wahrnehmbar. Hier flogen uns in den letzten Jahren die Fetzen um die Ohren, aber jetzt ist es auch hier wunderschön zu laufen und mit einem Blick auf meine Uhr stelle ich fest, dass meine Durchschnittspace immer noch bei 5:25 liegt. Läuft immer noch sehr gut. Heute klappt’s.
Mario läuft den ersten Halbmarathon mit Claudia zusammen. Sie wollen dafür so um 2:40 Std. brauchen. Für Claudia ist es der erste offizielle Halbmarathon und Mario möchte sie begleiten. Dann ab dem Halbmarathonpunkt will Mario Gas geben und noch laufen, was die Beine hergeben. Eigentlich ist Mario ja viel schneller als ich. Aber heute bin ich weit vor ihm. Und gestern Abend haben wir noch Witze gemacht, dass Mario mich noch vor dem Ziel einholen könnte. Das kann aber gar nicht funktionieren, denn dann müsste er schon sehr viel schneller laufen als ich. Er müsste ja ab 2:40 Std. weniger als 1:20 Std. für den zweiten Halben benötigen, da ich ja unter 4 ins Ziel komme. Und so rechne ich nicht damit, Mario unterwegs auf der Strecke sehen zu können.
Als wir über den Deich laufen, müssen wir nun doch voll gegen den Wind. Er ist zwar nicht so schlimm wie in den letzten Jahren, aber immer noch recht stark. Jedenfalls für uns Nicht-Inselbewohner. Ich habe immer noch gut Kraft und laufe mein Tempo weiter. Bei 1:56 Std. erreiche ich den Halbmarathonpunkt in Midlum. Vier Minuten im Plus. Ich freue mich sehr. Das klappt heute wirklich. Yeah.
Nun kommen lange Stücke mit offenem Gelände. „Langer Jammer“ heißt dieses Stück, da uns in den letzten Jahren hier jedes Mal das Wetter um die Ohren geflogen ist. Heute lässt es sich verhältnismäßig gut laufen und ich bin immer noch guter Dinge. Aber nicht mehr lange. Bei Km 25 werden meine Beine langsam aber sicher schwerer und ich muss viel stärker arbeiten, um meine Pace zu halten. Und bei Km 28 werde ich nun wirklich langsamer. Ich sehne den Km 32 herbei. Ab dort wenden wir uns wieder in Richtung Ziel und dann kommt der „angeblich nicht vorhandene“ Wind von hinten. Dann kann ich wieder Fahrt aufnehmen.
Nur… als ich endlich bei Km 32 ankomme, bin ich alle. Und viel langsamer geworden. Meine Kräfte sind verbraucht und meine Durchschnittspace auf meiner Uhr ändert sich schlagartig. Sie steigt bei jedem Blick auf die Uhr an und nähert sich der 5:40. Ich müsste jetzt auf knapp unter 5:40 beschleunigen, damit das mit der 3 vorne noch klappt. Und das Tempo bis zum Ziel halten. Ich versuche es und gebe Gas. Nur ist nichts mehr da, mit dem ich Gas geben könnte. Meine Akkus sind leer. Gleichzeitig krampft mein linker Oberschenkel. Und meine rechte Wade auch. Boah. Voll kacke. Das wird nichts heute.
Und so schleppe ich mich mit der Erkenntnis, dass es mit der 3 vorne heute nichts wird, weiter in Richtung Midlum. So’n Mist. Schade. Ich ärgere mich etwas darüber, dass ich leer bin. Nur ändern kann ich es jetzt nicht. Ich muss mich weiter in Richtung Ziel arbeiten.
Meine Geschwindigkeit ist nun schon über 7 min/km und meine Beine schmerzen. Aber ich arbeite mich Kilometer für Kilometer weiter. Bei Km 38 fliegt Mario von hinten an mich heran. Er wundert sich sehr, dass er mich wirklich eingekriegt hat. Claudia war viel schneller als geplant und die beiden haben nur 2:24 für die ersten 21,1 km gebraucht. Das freut mich für Claudia sehr, doch als Mario mit lockeren Beinen davon jagt, habe ich das Gefühl zu stehen. Wie kann er noch so viel Dampf haben? Die wichtigere Frage lautet für mich aber: Wo ist eigentlich mein Dampf hin? Keine Ahnung. Auf jeden Fall… weg.
Ich schleppe mich über die letzten Kilometer. Und dann bin ich endlich im Ziel. Boah. Bin ich fertig. Die Uhr zeigt 4:17 an und ich kann mich nicht mehr auf den Beinen halten. Irgendwo an einer Zeltwand lege ich mich sofort auf den Rasen und meine Beine hoch. Sie krampfen und sind nur noch leer. Ich habe auf jeden Fall alles gegeben, was ich heute zur Verfügung hatte.
Hier liege ich nun einige Minuten herum. Ich bin traurig, dass die 3 vorne nicht geklappt hat, und suhle mich in Selbstmitleid. Nach der Dusche und mit trockenen Sachen an geht es mir aber dann schon wieder besser und wir fahren wieder zu unserem Zimmer nach Wyk. Dort liege ich erstmal lange auf der Terrasse in der Sonne und erhole mich. Dabei suche ich im Runners Ranking nach meinen Bestzeiten der letzten Jahre. Und dort stelle ich fest, dass ich seit drei Jahren nicht mehr so schnell gelaufen bin wie heute. Die 3 vorne war vielleicht einfach viel zu ambitioniert für mich und für meinen derzeitigen Trainingszustand. Der schnellste Marathon seit drei Jahren. So schlecht war ich ja dann heute doch nicht.
Abends bei der After-Run-Party in Midlum sitzen wir noch lange bei gutem Essen und lustigen Gesprächen und schwärmen uns vor, wie windstill es heute war. Der Föhr Marathon ist wirklich liebevoll organisiert und eine klasse Veranstaltung. Mein Zimmer ist für 2018 bereits reserviert. Dann laufen wir wieder über die schöne Insel und dann in dem tollen Veteranen-Shirt, das wir dafür bekommen haben, dass wir bisher an allen Föhr Marathons teilgenommen haben. Wir freuen uns schon. 🙂