… was für ein geniales Motto
“The reason we race isn’t so much to beat each other,… but to be with each other.” (Christopher McDougall, Born to Run). Beachte das Gedankenspiel. Welch ein Slogan, was für ein Motto. Das ist genau richtig für mich. Laufen und das soziale Herz, was für eine Symbiose.
Nach einiger Zeit des Überlegens und Grübelns hinsichtlich der für mich infrage kommenden Wettkämpfe in 2023 werde ich auf eine Veranstaltung aufmerksam, die vom 2. – 4. Juni ihre Premiere in Unna feiert. Es ist ein Spendenlauf zugunsten des Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienstes im Kreis Unna unter dem o.g. Motto. Die Aktiven laufen also nicht gegeneinander, sondern miteinander für den guten Zweck. Vorgegeben werden keine festen Distanzen, sondern die zu laufenden Stunden: 48/24/12/6/3. Die Anmeldung erfolgt über „race result“, je gewählter Laufstunde ist 1 EUR Startgebühr erforderlich. Zusätzlich muss eine laufzeitunabhängige Spendensumme ausgewählt werden, die zusammen mit dem Startgeld abgebucht wird.
Da ist es für mich Ehrensache, diese Idee finanziell zu unterstützen und läuferisch etwas für mich zu tun. Verwegen und mutig male ich mir aus, wie schön es wäre, nach langer Zeit wieder einen HM unter die Laufwerkzeuge zu nehmen.
Das hängt auch von den Veranstaltern ab: Mario Windelschmidt kenne ich seit einigen Jahren von verschiedenen Laufevents, wir freuen uns über jede Begegnung. Und Mario bürgt für Qualität. Wenn er als langjährige Langstreckler einen solchen Lauf anbietet, hat das Hand und Fuß, ist von Läufern für Läufer*innen und bestens organisiert. Jan-Philipp Struck kenne ich noch nicht so genau, weiß aber von seinen sehr erfolgreichen und von Kennern geschätzten Ballonathons.
Ich hoffe, dass ich fit genug bin für diese Herausforderung. Meine Vorbereitungen haben sich in Grenzen gehalten, zumal ich aufgrund orthopädischer Schwierigkeiten keine schnellen oder lange Läufe mehr absolvieren kann. Das Tempo im Training ist gewöhnlich halb so schnell oder besser gesagt doppelt so langsam wie zu meinen besten aktiven Zeiten. Dies zeigt schon eine gewisse Alterserscheinung, der ich mich nicht verschließen kann. Denn das ist eine biologische Alterserscheinung. Meine Aktivitäten beziehen sich deshalb auf mittellange Läufe, das heißt bis circa 10 Kilometer.
Ich bin deshalb mehr oder weniger frei von allen Zwängen in meinem Lauftempo beziehungsweise in der zu absolvierenden Laufstrecke. Mit 12 Km als längste Distanz im Gepäck – einmal um den Dortmunder Flughafen – fühle ich mich vorbereitet, nicht optimal, aber immerhin so weit, daß ich die Strecke mit Erholungspausen in angemessener Zeit unter meine Laufwerkzeuge nehmen kann. Die beste Ehefrau der Welt ist selbstverständlich von Beginn an in das Projekt eingebunden. Leichtes Stirnrunzeln vorneweg, aber insgesamt stellt sie die Ampel auf grün
Insofern mache ich mich gut gelaunt, aber mit Respekt vor dem Bornekamp, und vollem Rucksack – man weiß ja nie, was einen erwartet – auf den Weg nach Unna. Unter anderem werde ich eine Mütze mit Ohren- und Nackenklappen tragen, um eine direkte Sonneneinstrahlung zumindest im Kopfbereich zu minimieren. Das sieht zwar wirklich schräg aus, ist aus meiner Sicht aber wirksam. Bekanntlich erkranken jedes Jahr immer mehr Menschen an Hautkrebs, und ich möchte nicht gerne dazugehören.
Der Bornekamp in Unna ist ein Naherholungsgebiet, das sich heute als grüner Korridor etwa vier Kilometer weit vor den Toren der Stadt bis an die Ringstraße um die alte Stadtmauer erstreckt. Das Bornekamptal ist durch seinen guten Anschluss an die ländliche Natur besonders beliebt bei Radfahrern, Joggern und Wanderern, die die Hektik der Hellwegstadt für einige Zeit hinter sich lassen möchten. Zugleich ist es ein Ansporn, den Kamm der kleinen Bergkette zwischen Münsterland und Ruhrtal zu erreichen und weite Blicke ins Sauerland im Süden und ins Ruhrgebiet nach Norden zugleich zu haben. Die Garmin 235 Super-High-Tec-GPS-Uhr ist zu 100% geladen. Ich könnte somit viele Stunden laufen, theoretisch.
Die S-Bahn fährt mich zum Bahnhof Unna, den ich gegen 11:45 Uhr erreiche. Den Weg zum Veranstaltungsort bin ich mit der besten Ehefrau der Welt am Pfingstmontag gelaufen, wobei ich natürlich Streckenlänge und Zeit genau gestoppt habe. Es kann also nichts passieren, zeitlich bin ich im grünen Bereich, denn der Start ist um 13 Uhr und ich muß nur ca. 1,7 Km dorthin zurücklegen. Gut, wir haben um die 25°, etwas kühler dürfte es schon sein. Ich bin nun mal kein Hitzeläufer.
Ich muß die letzten Meter ein Stück gegen die Laufrichtung gehen/laufen, begegne also einigen Teilnehmern, die am Vortag um 18 Uhr gestartet sind, um 48 Stunden zu laufen, d.h. bis Sonntagabend 18 Uhr. Es wird auf einer vermessenen und somit bestenlistentauglichen Strecke von 1947 Metern gelaufen. Ob mit oder ohne Pause bleibt jedem Aktiven selbst überlassen. Boah, allein die Möglichkeit, solange zu laufen, übersteigt mein Vorstellungsvermögen um ein Vielfaches. Nix für mich, und in meinem Alter und Zustand schon gar nicht. Ich weiß auch nicht, ob ich diese Sportler bewundern oder bemitleiden soll. Dazu aber später mehr. Tochter und Schwiegersohn wollen ebenfalls die 6 Stunden unter ihre Laufwerkzeuge nehmen. Sie sind schon vor Ort. Genau wie ich machen sie sich mit den Örtlichkeiten vertraut.
Als Location haben sich Mario und Jan-Philipp das Gelände um die katholische Kirche St. Martin in der Martinstraße ausgesucht. Weitläufige Rasenflächen ermöglichen eine großzügige Versorgungsstation, was mir natürlich sofort auffällt, sofort genügend Platz, auf dem die Superlangläufer*innen Zelte für ihre Erholungspausen aufgestellt haben. Jan-Philipp hat eine professionelle Zeitnahme aufgebaut, bei jedem Überlaufen, später Übergehen der Start-Ziellinie wird die Zeit erfasst die gelaufenen Runden und Zeiten werden addiert. Jeder weiß somit, welche Strecke er in welcher Zeit zurückgelegt hat.
Ich sehe einige Freunde und Bekannte, die ebenfalls mitlaufen oder nur zusehen wollen. Meine Tochter Anke und Schwiegersohn Dennis sind natürlich – auch aufgrund ihrer guten Bekanntschaft zu Mario – auch am Start. Die zwei laufen auch unheimlich gerne? Wer hat ihnen das Gen wohl implantiert.
Vor dem Start blicken wir (noch) tiefenentspannt, optimistisch und voller Vorfreude drein. Wie wird sich das denn im Wettkampf entwickeln? Es wird immer wärmer, allerdings liegen große Teile der Strecke im Schatten, die wenigen sonnenbeschienenen Abschnitte werden wir auch bewältigen.
Herzlich und mit Umarmungen fällt die Begrüßung mit Mario aus. Auf den ersten Kennerblick sehe ich eine optimal ausgerichtete Veranstaltung. Eine großzügig bespickte Versorgungstation, die alle Wünsche der Läuferseele erfüllt, paart sich mit einer Wiese, auf der die Langzeit-Ultra-Läufer*innen Zelte aufgestellt haben, in denen sie ihre Ruhepausen verbringen können. Denn 48-Stunden am Stück laufen wird kaum jemand schaffen. Der Körper benötigt Erholungsphasen.
Besonders freue ich mich über das Wiedersehen mit Hans-Jürgen „Atzenator“ Artz. Wir treffen uns bei verschiedenen Laufevents im Jahr und sind deshalb freundschaftlich verbunden. Seine „Liebe“ gilt ähnlich wie bei mir den langen Strecken. Er hat wie ich für den 6-h-Lauf gemeldet, verzeichnet aber zum Schluß mit Sicherheit einige Kilometer mehr auf der Uhr als ich. Dafür kann ich für mich das Privileg in Anspruch nehmen, der älteste Teilnehmer des 6-h-Feldes zu sein.
Du vermißt sicherlich die Erwähnung der besten Ehefrau der Welt. Keine Sorge, sie wird einige Zeit später vor Ort erscheinen, denn sie will sich nicht allzu lange der sommerlichen Hitze aussetzen. Und zwischendurch beklatschen und -jubeln wir Aktive, die bereits seit fast 19 Stunden ihre Runden drehen, die meisten sind langstreckenerfahren, sie sehen noch frisch und kaum belastet aus.
Regelmäßiges trinken und die Aufnahme von fester Ernährung sind unabdingbar, sonst stehst du diesen harten Lauf nicht durch. Einigen Langzeitteilnehmern sehe ich die Strapazen an. Ob sie wirklich 48 Stunden durchstehen? In diese Aktiven mischen sich auf dem Kurs die 12-h-Läufer (Start 12 Uhr), zu unterscheiden an den Startnummern.
Uns 6-h-Läufer*innen verbleiben wenige Minuten bis 13 Uhr, bis zum Start. Wir versammeln uns unter dem Start-Ziel-Banner zu einem Gruppenfoto, dann wird es ernst. Der Countdown läuft, ich bin doch kribbelig wie eigentlich immer vor einem Wettkampfstart.
Pünktlich um 13 startet das Feld der 6-h-Läufer*innen. Anke reiht sich sofort weit vorn ein, während Dennis und ich es langsam angehen. Eine schwierige Phase erleben wir gleich zu Beginn des Laufes. Es geht 190 Meter steil bergab, da gilt es wachsam zu sein. Ich denke an einen meiner Rennsteig-Läufe mit weitaus steilerem Streckenabschnitt, aber das ist schon viele Jahre her, und meine Gelenke sind altersbedingt weniger belastbar. Sei’s drum, das Gefälle beschäftigt mich zu Beginn jeder Runde.
Wir biegen links auf die Bornekampstraße ein, flach und gut zu laufen. Ich fühle mich gut und neige ein wenig zur Euphorie. Leider ist dieses Gefühl nach 300 Metern vorbei, denn wir müssen rechts abgehend von der Bornekampstraße einen Anstieg von ca. 400 Metern bewältigen, der uns bis zum Parallelweg der A44 führt. Bislang laufen wir einen baumgesäumten, schattigen Streckenteil, was ich als sehr angenehm empfinde. Aber dann, nach weiteren 300 Metern biegen wir rechts auf einen stark sonnenbeschienenen Weg ein, der meinen Kreislauf anregt und mir den ersten Schweißausbruch beschert. Wir bewegen uns hier nämlich an der 30° Grenze. Ca. 300 brennt die Sonne unbarmherzig, hier ist kein Schatten. Dennis läuft immer noch neben mir, meine Pace zwischen 8:20 und 8:50 behagt ihm nicht weiter, er will ab Runde 2 schneller laufen. Bis dahin laufen wir strikt gemeinsam, genug zu erzählen gibt es allemal.
Ich merke: die Sonne ist mächtig, und nachdem ich bis jetzt nur eine einfache Kappe als Kopfbedeckung trage, werde ich ab Runde 2 meine bereits erwähnte „Spezialmütze“ mit Ohren- und Nackenschutz tragen. Genauso mache ich es. Denn Schweiß kann man abwischen, Hautkrebs nicht.
Der schönste Streckenteil ist nach einer Linkskurve ein leichtes und schattenspendendes Gefälle im Hibbinger Weg – das Straßenschild ist auf Bild 1 zu erkennen. Wir vollenden die Runde ín 17:15. Ich gehe mal davon aus, dies wird meine schnellste Runde sein, und ich werde recht haben, wie sich später herausstellt.
Ich greife zu einem Erfrischungsgetränk, trinke in tiefen Zügen das gekühlte Wasser. Das tut gut, und ich beginne die nächste Runde. Dennis ist verabredungsgemäß schon voraus, und von Anke ist eh weit und breit nichts zu sehen. Sie wird mich auch bald überrunden.
Ich laufe nunmehr allein, in einem Tempo, das mir gefällt. Ich fühle mich gut, obwohl die Temperatur zunehmend steigt. Den erwähnten Anstieg bewältige ich ein wenig langsamer als in der 1. Runde. Ansonsten bleibe ich bei meinem ursprünglichen Vorsatz: Geschwindigkeit ist zweitrangig, wichtig ist die Distanz. Und die soll mindestens 21,1 KM betragen. Das ist mein Ziel. Und so wechseln langsames Laufen und schnelles Gehen, vor allem beim Anstieg und in der prallen Sonne, einander ab.
Nachdem ich einige Runden zurückgelegt habe, wartet im Start-/Zielbereich die beste Ehefrau der Welt auf mich. Eine spontane, fixe Idee überrascht mich: Sie möchte gerne eine Runde mit mir gehen, um die Strecke kennen zu lernen und ggs. später für eigene Walkinggelegenheiten zu nutzen. Anfangs skeptisch und zurückhaltend sehe ich keinen Grund, diese Idee umzusetzen. Also gehen wir eine komplette Runde gemeinsam, und was soll ich sagen, Sie findet Gefallen am Kurs. Vielleicht entwickelt sich daraus ein neues Walkingabenteuer.
Ich dehne Erfrischungspausen immer mehr aus, die Rundenzeiten nehmen zu, meine Kilometerleistung aber auch. Und darauf bin ich stolz. Trotz der Hitze bewältige ich Kilometer um Kilometer, jeweils angefeuert von unserem Lauftreffleiter Manfred und seiner Frau sowie Peter Teuber, der gerne mitgelaufen wäre, aber wegen anhaltender Gelenkprobleme das Laufen schweren Herzens hintanstellen muß. Wo sich Tochter und Schwiegersohn aufhalte, weiß ich nicht. Doch halt, irgendwann werde ich von Anke überrundet. Diese Jugend.
Ich nähere mich mit jeder Runde dem HM, während die Temperatur unaufhörlich steigt. Seis drum, aufgeben ist keine Option, der Ehrgeiz hat mich gepackt. Und auf wundersame Weise und mit vielen Erholungsphasen am VP bin ich am Ziel: 21,41 Kilometer sind protokolliert. Klar, ist ein wenig mehr als ein lupenreiner HM, aber aufgrund der Rundenstrecke nicht anders machbar. Die Zeit ist irrelevant. Und jetzt zunächst trinken, trinken und essen. Leckere und appetitlich dargebotene Köstlichkeiten bieten Mario und seine als Helfer engagierte Kinder an. Du brauchst Dich um nichts zu kümmern, freundliche Helfer*innen lesen Dir jeden Wunsch von den Lippen ab.
Da wir uns auf dem Gelände einer kath. Kirche befinden, findet am Samstagabend natürlich eine Messe statt. Der Pfarrer und zahlreiche Meßdiener ziehen vorbei an uns In die Kirche ein. Einige wohlwollende Worte des Geistlichen sind zu vernehmen. Ob er auch läuft? Ich erfahre es nicht. Einige Bekannte, darunter auch der „Atzenator“ sind bereits auf dem Heimweg. Sie haben ihr Ziel erreicht.
Nach einer kurzen Zeit machen sich die Beste und ich auf den Rückweg zur S-Bahn. Das dieser Weg etwas länger dauert als der Hinweg liegt nicht nur an der leichten Steigung, die wir bewältigen müssen.
Die Veranstaltung ist toporganisiert, ein besonderer Dank gilt Mario und Jan-Philipp. Und wenn nichts dazwischenkommt, bin ich in 2024 wieder dabei. Versprochen. 🙂
Alter Schwede, ich bin stolz auf Dich und freu mich schon auf unser Treffen im Labyrinth.
LG vom Ha-We aus OS