Es ist Pfingsten. Mal wieder. An diesem langen Wochenende vor zwei Jahren startete ich bei der TorTour de Ruhr auf der 100-Meilen-Distanz. Das erste Mal auf so einer langen Strecke: 161 km. Damals musste ich nach 151 Kilometern aufgeben. Ich hatte einige Kilometer mehr in den Beinen, als ich eigentlich hätte haben müssen. Einige Umleitungen und mehrfaches Verlaufen machten die Strecke für mich länger als sie wirklich war. Dazu kam, dass es das heißeste Wochenende des Jahres war. Und ich hörte schließlich nach mehr als 27 Stunden „nur“ 19 km vor dem Ziel mit einem Sonnenstich auf. So fertig war ich davor noch nie. Aber ich hatte von diesem Zeitpunkt an eine Rechnung mit der TorTour offen. Damals habe ich meinen Lauf mit meiner Videokamera festgehalten. Das mache ich ja oft und immer gerne. Jedoch habe ich dabei immer vieles andere im Kopf als das Laufen. Ich sehe etwas, was mir gefällt, bleibe stehen, laufe ein Stück wieder zurück, filme, spreche andere Läufer oder Passanten an, bleibe wieder stehen, laufe nochmal ein paar Meter zurück, usw… Das Laufen selbst gerät dabei manchmal in den Hintergrund. Meine Gedanken sind dann bei einem schönen Video. Nur wenn ich an meine Grenzen gehe oder besser laufe, dann habe ich für das Filmen keine Körner mehr übrig. Nach langem Überlegen habe ich mich daher entschlossen, bei der Revanche am letzten Wochenende die Kamera aus der Hand zu geben. Ich habe nun mal noch eine Rechnung mit der TorTour offen. Und ich konzentriere mich jetzt aufs Laufen und aufs Ankommen. Und nicht aufs Filmen.
Am Pfingstsamstag wurschtle ich den ganzen Tag herum. Laufend fällt mir noch eine Kleinigkeit ein, die ich noch einpacken möchte. Mein Wohnzimmer sieht aus, als führe ich in Urlaub. Dabei habe ich meinen Fernseher an. Seit gestern Abend läuft eine Rocky-DVD nach der anderen. Für mich ist das die beste Motivation. Schon seit ewigen Zeiten. Vor allem die Musik habe ich inzwischen fest in meiner Birne eingebrannt.
„Dein Team bringt Dich ins Ziel!“ So steht es auf der Internetseite der TorTour und auch immer wieder in jedem Newsletter der vergangenen Monate. Mein Team besteht aus Beate und Markus, Wolfgang und Uwe und aus Bettina. Sie wollen mich im Wechsel etappenweise begleiten und nach Duisburg bringen.
Am Samstagnachmittag gegen 16:00 Uhr fahe ich endlich nach Neheim zum Start der 100-Meiler. Ich bin aufgeregt wie lange schon nicht mehr. Das zeigt mir, dass ich den Lauf heute wirklich ernst nehme. 100 Meilen. Das sind 161 km. So weit bin ich bisher noch nie gelaufen. Das wird mein Lauf des Jahres. Oder noch mehr.
Am Fitness-Studio Friends in Neheim befindet sich unser Start. Ich hole direkt meine Startnummer und eiere nervös in der Gegend herum. Echt krass. Ich kann es kaum erwarten, bis es endlich losgeht. Alle Crew-Mitglieder sind auch schon da, obwohl sie erst heute Nacht oder morgen Vormittag an die Strecke kommen wollten. Dann ist es schließlich soweit. Gegen 18:00 Uhr sammeln wir uns an der Möhne, es folgt ein Countdown und dann laufen wir los. Endlich. Jetzt wird die zwei Jahre alte Scharte ausgewetzt.
Die ersten 11 km machen wir eine Einführungsrunde, damit wir von hier aus bis zum Rheinorange an der Ruhrmündung auf unsere 100 Meilen kommen. „Blöderweise“ ist es hier im Sauerland total bergig und wir quälen uns nun auf den ersten Kilometern ordentliche Steigungen rauf und wieder runter. Das kostet jetzt schon richtig Kraft. Markus (ein weiterer) begleitet mich auf der Einführungsschleife und liefert mich dann wieder am Friends ab. Hier wartet meine Crew und Beate und Markus (der erste) werden ab hier auf mich aufpassen und mich aus dem Autokofferraum versorgen.
Nun laufen wir an der Ruhr entlang und ich denke über die ganze Aktion hier nach. Ich finde gar nicht richtig in den Lauf hinein. Warum auch immer. Der Gedanke, bis morgen Abend noch laufen zu müssen, ist ganz unwirklich und ich weiß gar nicht, wie ich das schaffen soll. Aber ich laufe weiter. Vor und hinter mir sehe ich Läuferinnen und Läufer. Manche überholen mich. Manche überhole ich. Manche sehe ich im Verlauf der kommenden Stunden zigmal wieder. Jeder kämpft nun für sich. Jeder ist auf dem Weg nach Duisburg. Jeder für sich.
Irgendwo an der Strecke steht Lauffreund Martin am Rand und hält ein Schild mit meinem Namen hoch. Aus seinem Autoradio klingt die Rocky-Melodie. Das motiviert mich wieder neu und ich laufe weiter. Den langen Weg zum Rheinorange.
Alle paar Kilometer treffe ich auf Beate und Markus. Sie warten immer schon einige Zeit auf mich und haben alles bereit. Ich bekomme eine Decke umgehängt und mein Getränk steht bereit. Ein oder zwei Weingummis in den Mund, fünf Minuten sitzen und dann laufe ich weiter. Inzwischen ist es dunkel geworden und die Temperatur geht auf 3 Grad runter. Brrrr… Sobald ich stehen bleibe, friere ich mit meinen durchgeschwitzten Klamotten. Ich trage mein Winterlaufzeug inklusive Handschuhe. Und das Mitte Mai. Voll verrückt.
So kämpfe ich mich laufend durch die Nacht. Mehr als 30 km habe ich gebraucht, bis ich endlich in den Lauf hineingefunden habe. Aber nun fühlt sich das ganze wieder besser an. Ich habe Spaß an der Sache gefunden und das Laufen fällt mir viel leichter. Irgendwie habe ich nun akzeptiert, dass ich noch bis morgen Abend laufen werde. Rocky sagt in einem Film: „Es kommt nur immer darauf an, die nächste Runde zu schaffen.“ Und ebenso: „Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist!“ Diese beiden Zitate habe ich nun im Kopf. Immer nur bis zum nächsten Treffpunkt denken. Das sind nur immer ein paar Kilometer. Nicht daran denken, was noch komplett vor mir liegt. Nicht das Ganze sehen. Nur immer Etappe für Etappe. Das ist übersichtlich und überschaubar.
So bringen mich Beate und Markus bis zum Hengsteysee, an dem ich gegen 3:15 Uhr ankomme. Hier starten gleich um 4:00 Uhr die Bambinis. So werden bei der TorTour mit einem Augenzwinkern die 100-km-Läufer genannt. Ich melde mich kurz am VP und mache dann wieder ein paar Minuten Pause am Kofferraum. Dabei wird mir klar, dass ich vor zwei Jahren die Bambinis gar nicht gesehen habe. Ich bin heute anderthalb Stunden schneller. Doch das kann was Gutes oder Schlechtes bedeuten. Ich entschließe mich dazu, das als gutes Zeichen zu sehen. Ich bin besser drauf, habe keine Zeit mit der Filmerei verplempert und das kalte Wetter lässt uns besser laufen. Also geht`s mit positiven Gefühlen weiter.
Am nächsten Treffpunkt sind dann Wolfgang und Uwe an der Strecke. Sie empfangen mich fröhlich, obwohl es so früh am Morgen ist. Auch sie umsorgen mich nun in den nächsten Stunden, legen mir immer sofort eine Decke um, „kochen“ mir ein salziges Süppchen und gönnen mir sogar eine regelmäßige Nackenmassage. „Deine Crew bringt Dich ins Ziel!“ Die wirkliche Bedeutung dieses Mottos wird mir langsam aber sicher erst so richtig klar.
Es wird morgens wieder wärmer. Die Temperaturen werden wieder zweistellig. Aber ich lasse mein Winterzeug an, da meine Temperaturregelung irgendwie nicht mehr funktioniert. Zu wenig Brennstoff und viel Salz in den Hautporen lassen mich frieren. Das kenne ich von anderen Läufen und so trage ich eben weiter Handschuhe und insgesamt vier Oberteile übereinander.
Die Stunden vergehen und ich erreiche den Kemnader See und irgendwann schließlich auch den Baldeneysee. Es ist nach Mittag und Team 3 kommt an die Strecke. Sie übernehmen nun meine Versorgung und kümmern sich ab hier genauso herzlich um mich. An jedem Verpflegungsstopp bekomme ich ein paar Kekse, meine selbst gemischte Plörre (Cola, Iso und Salz) und mein Stuhl mit Decke steht bereit. Und vor allem sind sie ebenso guter Dinge und schicken mich immer wieder mit guten Worten auf die nächste Etappe. Besser geht es nicht.
Irgendwann nachmittags fangen meine Mauken an zu brennen. Der Spann an beiden Füßen schmerzt ohne Ende. Die Füße haben aber auch inzwischen Kilometer im dreistelligen Bereich hinter sich und dürfen auch mal etwas wehtun. Nur hilft mir dieses Verständnis nicht weiter. Ich kann nicht mehr richtig laufen und die Gehanteile werden langsam aber sich mehr. Auch das Konzentrieren auf grüne Bäume, auf die Ruhr, auf Schafe am Wegesrand oder andere Dinge helfen nur kurzfristig. Meine Füße brennen wie Feuer. Und zwar oben drauf, nicht die Fußsohlen.
Ein besonderer Streckenabschnitt ist für mich der Punkt, an dem ich vor zwei Jahren abgebrochen habe. Ich kann mich gut daran erinnern, wie ich mich damals gefühlt habe. Ich torkelte hier herum wie ein Zombie. Jetzt brennen mir nur die Füße. Das ist dagegen nichts.
Am nächsten Treffpunkt wechsle ich meine Schuhe. Ich trage nun ein paar ältere abgelaufene Gurken, allerdings mit Spiralix als Schnürsenkel. Die sind oben an der Schnürung ganz locker und sitzen wie Pantoffeln. Bei meinen nächsten Schritten merke ich sofort, dass ich jetzt wieder richtig laufen kann. Es läuft wieder. Und ich kann wieder richtig rennen. Diese Erkenntnis beflügelt mich noch mehr und ich kann sogar mein Tempo erhöhen. Auch die längere Streckensucherei in Mülheim macht mir nicht wirklich was aus. Ich muss und ich will weiter. Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist. In meiner Birne läuft Musik. „Gonna fly now!“ Die Trainingsmusik aus den Rocky-Filmen. Ich habe keinen mp3-Player oder sowas. Die Musik ist einfach in meinem Kopf. Und sie beflügelt mich nun auf den letzten Kilometern. Ich will weiter.
Irgendwann stehen Beate und Markus an der Strecke und laufen drei Kilometer mit mir mit. Sie haben mehr oder weniger ausgeschlafen und sind jetzt gegen Abend wieder hierhergekommen. Das motiviert mich nochmal und nun renne ich die letzten Kilometer bis nach Duisburg so schnell ich noch kann. Ich fühle mich gut und freue mich darüber, dass der Schuhwechsel so gut getan hat. Dann entdecke ich endlich einen Wegweiser, auf dem das Rheinorange genannt ist. Gut zwei Kilometer noch. Jetzt aber… Endspurt.
Ich renne das letzte Stück mit allem, was ich noch habe. Gleich bin ich da. Wieder ein Wegweiser. Die Rocky-Musik läuft immer noch. Immer wieder von vorn. Noch einmal zum x-ten Mal über eine Ruhrbrücke. Ich kann den orangen Pinn endlich sehen, auch wenn er eingerüstet ist. Da ist er. Ich werde noch schneller. Ein weißes Auto hält neben mir und der Fahrer ruft mir etwas zu, aber ich laufe weiter. Später erfahre ich, dass das der Veranstalter Jens war, der mir etwas sagen wollte. Aber ich höre nichts mehr. Weiter zum Rheinorange. Die letzten paar hundert Meter noch. Nochmal werde ich etwas schneller und dann schlage ich am orangen Pinn an. Endlich. Ich bin da. Yeah. Es ist kurz vor 22:00 Uhr. Die TorTour ist gerockt. Nach 27:58:02 Stunden bin ich in Duisburg angekommen. 166 km sind auf meiner Uhr. Ich bin fertig. Basta! „Es ist vorbei, wenn es vorbei ist.“
Nach einer kleinen Siegesfeier müssen wir anderthalb Kilometer zurück zum Auto. Ich staune immer wieder, wie schnell alles von einem abfallen kann. In der einen Sekunde rennt man wie bekloppt, dann ein paar Augenblicke später schafft man kaum den Weg zum Auto. Aber auch das schaffe ich irgendwie. In Oberhausen holen wir schließlich noch die hart erarbeitete Gürtelschnalle und meine Urkunde. Und dann schlafe ich direkt im Auto ein. Zum Glück sitze ich hinten und nicht auf dem Fahrersitz.
„Deine Crew bringt Dich ins Ziel!“ Das ist das Motto der TorTour. Erst jetzt kann ich das so richtig nachempfinden. Ohne Crew läuft nichts. Ich bin meinen Supportern unendlich dankbar, dass sie mir einen großen Teil ihres Pfingstwochenendes geopfert haben. Ich bin nicht nur für mich gelaufen, sondern auch genauso für meine Crew. Wir sind zusammen nach Duisburg gereist. Nur alle mit unterschiedlichen Aufgaben. Beate und Markus, Uwe und Wolfgang, Bettina… ihr seid die Besten. DANKE!
Und ich bin jetzt ein 100-Meiler! 🙂
Und hier ist dann doch unser Video von der TorTour de Ruhr!
Hallo Frank,
ich hab dich „übern“ VP188 auf der Brücke angesprochen und abgeklatscht. Toll, dass du dein persönliches Ziel geschafft hast und deine alte „Rechnung“ begleichen konntest!
Respekt und Anerkennung für dich und deine Crew!
Grüße aus Herne,
Pit
Glückwunsch! Glückwunsch! Glückwunsch!
Hallo Frank,
ich freue mich ausserordentlich hier noch zu lesen (wenngleich ich es natürlich wie tausend andere gern auch schon live verfolgt habe), dass Dir die 100 Meilen diesmal gelungen sind!
Ich glaube, jeder der Dein Video von damals kennt ist mit Dir erleichtert und sehr stolz auf Dich! Es war damals die richtige Entscheidung aufzuhören so wie Du dieses Mal richtig entschieden hast, Dich nur auf den Lauf zu konzentrieren.
Vielen Dank für Deinen schönen Bericht!
Erhole Dich gut und bewahre Dir nun die guten Erinnerungen an ein besonderes Pfingsten 🙂
LG,
Corinna
Hallo lieber Frank,
immer wieder gerne sehe und lese ich gerne Deine Berichte und Videos. Besonders freut es mich, das ich dieses Jahr Gelegenheit hatte beim 6 Stundenlang in Münster einen Lauf mit Dir gemeinsam gelaufen zu haben, obwohl Du Dich nicht an mich erinnern wirst. Meinen allergrößten Respekt für Deine jetzt erbrachte Leistung und herzlichen Glückwunsch zum Finish der Tour! GlG ThoSa
Einfach nur Daumen Hoch und GLÜCKWUNSCH!!!!