Das TTdR-Training läuft. Immer weiter. Die vergangenen Wochen waren daher nach wie vor ziemlich kilometerreich. An jedem Wochenende stand dabei ein langer Lauf auf dem Programm. 58 km rund um Rheinberg. 50 km auf der Soester Herzroute. Und an diesem Wochenende fahren Günter und ich mal in Richtung „Westliches Ruhrgebiet“. Genauer gesagt nach Mintard, einem Ortsteil von Mülheim an der Ruhr. Unter der riesigen Mintarder A52-Brücke befindet sich bei der TorTour der letzte offizielle VP. Ab hier sind es noch 23 km bis zum „Orangum“, dem dann an Pfingsten sehnlichst herbeigewünschten Ziel.
Irgendwo in der Nähe des VPs „Noch 23 km“ parken wir das Auto und laufen dann den Ruhrtalradweg entlang in Richtung Ziel. Schon nach wenigen Kilometern kommen wir an die Stelle, an der ich vor vier Jahren mit einem Sonnenstich aufgehört habe. Jetzt mit klarem Bewusstsein sehe ich, wie kurz die Streckenabschnitte wirklich sind. In meiner damaligen Wahrnehmung waren das unheimlich lange Wegstücke. Auch der Damm, auf dem ich schließlich so kurz vor dem Ziel aufgehört habe, ist in meiner Erinnerung kilometerlang. In Wirklichkeit ist er höchstens dreihundert Meter lang. Oder besser kurz. Krass. Wie sich die Wahrnehmung verändern kann, wenn man nach einer so langen Quälerei nicht mehr Herr seiner Sinne ist. Hammer!
Wir laufen weiter und kommen nach und nach an Streckenabschnitte mit gewundenen Brückenrampen, einem ganz außergewöhnlichen Wasserturm mit einem futuristischen Außenaufzug und einer „verbogenen“ Stahltreppe, einer alten Burg und was weiß ich nicht noch allem. Günter und ich schauen uns immer wieder an und schütteln nur verständnislos den Kopf. Hier sollen wir vor zwei Jahren schon mal hergelaufen sein? Unglaublich. Wir haben beide keinerlei Erinnerungen mehr an diesen Streckenabschnitt. Bei mir war es Kilometer 140 bis 150, bei Günter sogar Kilometer 210 bis 220. Wir waren anscheinend nur noch aufs Ankommen fixiert und haben von unserer Umwelt nichts mehr wahrgenommen. Andererseits habe ich Erinnerungen an einen Park mit einem Schloss, an ein kilometerlanges strüppiges Waldstück und an eine lange große Straße mit Ampeln, die es gar nicht gibt. Komisch. Die Erinnerung spielt irgendwie verrückt.
Als wir am Rheinorange ankommen, bewundern wir den baldigen Zieleinlauf und den nun frisch gestrichenen orangen Pinn, der trotz des grauen Wetters leuchtet. Vor zwei Jahren war er ja noch eingerüstet, aber jetzt strahlt er wieder in frischem orangen Glanz. Als wir vor der riesigen orangen Skulptur stehen, sprechen wir ab, dass wir sie nicht berühren wollen. Das machen wir erst am Pfingstsonntagabend. Mit 230 km in den Beinen. Dann klatschen wir sie ab und sind dann hoffentlich glücklich im Ziel. Aber bis dahin wird noch ordentlich trainiert.
Auf unserem gut 22 km langen Rückweg suchen wir nochmal in unseren Erinnerungen nach Bildern und Eindrücken, die so nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Nach so einer langen Laufstrecke wie bei der TTdR durch eine Nacht hindurch und dann noch über den darauffolgenden ganzen Tag hat man nur noch die Strecke in der Wahrnehmung. Nur noch den Weg. Die Kilometer bis zum nächsten Treffpunkt mit der Crew. Jedes unerwartete Körpergefühl wird wahrgenommen und genauestens beobachtet. Fußschmerzen. Halten die Gelenke? Ein Krümelchen im Schuh… Die Konzentration ist komplett in einer eigenen Welt und dreht sich dann nur noch um einen selbst. Das Restleben ist für diese Zeit irgendwie „als unwichtig“ abgelegt und in unendliche Weiten entrückt. Es geht dann nur noch um diese ultralange Strecke. Um das Rheinorange, das man nach 230 km endlich erreichen will. Um den Zieleinlauf an der Ruhrmündung. Nach 38 Stunden Laufzeit. Man läuft in einer ganz eigenen Wirklichkeit, die von außen betrachtet gar keine ist.
Nach insgesamt 45 gelaufenen Kilometern sind wir schließlich wieder am Auto und freuen uns über unseren Mini-Ultra. Es lief gut heute und wir haben uns beim Laufen wohl gefühlt. Aber… es macht echt nachdenklich, was man vor zwei Jahren alles nicht wahrgenommen und was man ganz anders in Erinnerung hat. Gut, dass wir uns heute die letzten Kilometer mal in vollem Bewusstsein angeschaut haben. Besonders für mich, da ich an Pfingsten ohne Navi nur nach der Beschilderung laufe. Nach so einer langen Zeit kann man ja auch schnell mal ein Streckenschild verpassen und sich noch kurz vor dem Ziel verlaufen.
In der nächsten Woche geht es dann nach Bertlich. Da laufen wir dann „nur“ einen Marathon. 😉 So weit ist es nun schon, dass man bei einem Marathon das Wort „nur“ verwendet. Und danach kommen die noch längeren Einheiten. Zum Beispiel Anfang März der 100er hier „vor der Haustür“. Und dann zwei 6h-Läufe. Und mehrere Marathons in einer Woche. Und und und… viele Kilometer wollen noch gelaufen werden. Aber sie müssen sein. Von nix kommt nix!
Die Aufregung steigt…