Silvesterlauf 2016 – stressfrei, aber emotional

Eigentlich kenne ich derzeit nicht mein läuferisches Leistungsvermögen. Denn ich laufe meist allein, mitunter jedoch mit einer bunten und lustigen Frauengruppe, die sich vorwiegend aus Teilnehmerinnen unseres Anfängerkurses zusammensetzt. Und bei all diesen Trainingseinheiten stehen Distanz und Geschwindigkeit nicht unbedingt im Vordergrund. Mir fehlen aber die sportliche Herausforderung, der Druck und der nötige Biss, seit ich mit meinen Freunden nicht mehr trainieren kann. Ist eben so, daran kannst Du nichts machen.

Deshalb kommt für mich auch kein Wettkampf über eine längere Distanz infrage. Deshalb strebe ich auch den von mir sehr geschätzten und geliebten Silvesterlauf von Werl nach Soest über 15 Kilometer an, den ich immerhin 18-mal bestritten habe. Und so erfreut es mich umso mehr, als ich etwa Anfang Dezember eine Mail meines Lauffreundes Uwe erhalte, die die Anmeldung zum Silvesterlauf in Unna beinhaltet, der wie immer an der Katharinenschule stattfindet. Er möchte die Gelegenheit gern benutzen, wieder einmal mit mir zu laufen. Wir sind bereits im Vorjahr hier gelaufen, kennen also die Strecke. Allerdings würde die diesjährige Teilnahme eine wahre Energieleistung bedeuten.

6, 8,13 – das sind nicht etwa meine Glückszahlen, die mir Geldgewinne und Sachpreise in jedweder Form versprechen. Nein, hier handelt es sich um die angebotenen Strecken des Veranstalters, des TV Unna. Klar, ich laufe für mich Distanzen, die größer sind. Diese allerdings sind oft mit Gehpausen gespickt, so wie mir gerade zumute ist. Nun muss man sich bei diesem Lauf nicht von vornherein auf eine bestimmte Strecke festlegen. Vom Vorjahr her weiß ich, dass sich jeder Teilnehmer während des Laufes entscheiden kann, wie weit er laufen möchte. Unterwegs sind an Abzweigungen Hinweisschilder aufgestellt, die der Entscheidungshilfe dienen. Ob es in diesem Jahr auch so gehandhabt wird? Warum eigentlich nicht, denn zu einer Änderung besteht kein Anlass. Und die wird mir auch beim Blick auf die Internetseite bestätigt. Also, the same procedure as last year.

Soll ich melden, soll ich nicht? Es ist wie beim Abzählen der Blüten eines Gänseblümchens. Doch nicht so ganz. Denn eigentlich, tief in mir, deep in my heart sozusagen, keimt der Wunsch, oder besser der Wille, einerseits nach dieser sportlichen Herausforderung, andererseits aber mal wieder nach einer gemeinsamen Aktivität mit Uwe. Und genau so betrachtet es auch die beste Ehefrau der Welt. Sie kennt meine Gemütslage nach der entbehrungsreichen Zeit aufgrund verschiedener Zipperlein. Sie versteht mein Verlangen, ja sogar eine Art Sehnsucht.

Also Aufrufen der Internetseite des TV Unna, Anmeldung eintippen (mutig und verwegen kreuze ich die 13-Km-Strecke an), Meldung absenden und Überweisung des Startgeldes vornehmen. Bemerkung am Rande: Die Angabe der KM-Zahl ist für den Druck auf der Urkunde erforderlich, die vor dem Lauf schon ausgedruckt wird. Das hat nichts mit der endgültigen Entscheidung über die tatsächliche Laufdistanz zu tun.

Bis zum Silvesterlauf bemühe ich mich, mehrere Trainingsläufe bis 13 KM zu absolvieren. Ich laufe i.d.R. mittags, wenn es hell ist und der Weg vor mir sichtbar ist. Das finde ich besser, als im Dunkeln mit Leuchtweste und Stirnlampe durch die Gegend zu stapfen und zu allem Überfluss auch noch durch die Scheinwerfer entgegenkommender Fahrzeuge geblendet zu werden.

Fazit: Ich laufe derzeit verhalten, aber dennoch einigermaßen ambitioniert.

Am letzten Tag des Jahres fahren Uwe und ich nach Unna. Frühzeitig sind wir vor Ort, so dass wir noch einen günstigen Parkplatz in unmittelbarer Nähe des Start-/Zielbereiches ergattern können. Da wir vorangemeldet sind, brauchen wir uns auch nicht in die lange Schlange der Nachmelder einreihen. Unser Gepäck können wir im Meldebüro deponieren. So genießen wir die verbleibende Zeit bis zum Start bei netten Gesprächen unter Läufern.

Zu unserer Freude ist auch unser LWTler Martin angereist. Mit ihm zu Laufen dürfte allerdings kaum gelingen, er ist zumindest mir einfach zu schnell. Wir nehmen ihn in unsere Mitte, großzügig wie wir nun mal sind. Zu einem gemeinsamen Bild reicht es allemal.

Die Zeit schreitet voran, und wir müssen uns zum Startplatz vor der Schule begeben. Es ist erstaunlich, wie viele Läuferinnen und Läufer sich eingefunden haben. Von über 1000 Teilnehmern ist die Rede. Und das bei einem Lauf, bei dem mangels offizieller Zeitnahme jeglicher Wettkampfcharakter fehlt. Vielleicht ist es gerade das, was sie Leute suchen. Bewegung am Jahresende, aber bitte ohne Stress, einfach nur aus Spaß am Laufen.

Ich befinde mich in der Mitte des Starterfeldes. Da Uwe mit mir laufen will, sich meinem Tempo anpassen will, suche ich ihn in meiner Umgebung. Leider zunächst vergeblich. Ein sicherlich bedeutender Vertreter der Stadt Unna startet das Rennen.
Nach wenigen Metern holt Uwe mich ein, sodass wir von nun an als Minigruppe zu bezeichnen sind.

Wir laufen die Bornekampstr. in südlicher Richtung unter der B1 und der A44 durch, bewältigen 26 Höhenmeter. Ich muss durchschnaufen, nur nicht zu sehr überpacen, möglichst im aeroben Bereich bleiben, lautet die Devise. Der Weg ich noch weit. Doch das ist leichter gesagt als getan. Also reduziere ich mein Tempo, das ohnehin schon über der Marke von 7 Min/km liegt. Und Uwe läuft immer noch neben mir. Und die Bornekampstr. zieht sich, ihrem Namen alle Ehre machend, weit in Richtung Billmerich.

Nach der Jakobsquelle mündet die Straße in den Weg „Zur Österwiese“ ein. Und wenn Du denkst, wir haben alle Höhenmeter gemeistert, muss ich Dich eines Besseren belehren. Bis Kilometer 3 sind noch einmal 21 Meter, als „Höhe+“ bezeichnet, unter unsere Laufwerkzeige zu nehmen. Kurz vorher besteht die Möglichkeit, an einem Punkt zu wenden und zurückzulaufen. Uns kommen schon die ersten „Kurzstreckenläufer“ entgegen. Die habe es gut, die sind auf dem Rückweg, zurück zum Fahrzeug und zur Wechselwäsche. Das gilt aber nicht für Uwe und mich. Die erste Entscheidung ist gefallen: Wir laufen weiter

Nach einer kleinen Umrundung eines Waldes auf einem nicht näher bezeichneten Wirtschaftsweg steht die zweite Entscheidung des Tages an: 8 oder 13 Kilometer. Auch hier wieder ein gemeinsamer Beschluss zwischen Uwe und mir, wir laufen die 13. Wir waren es gewöhnt, bei einem Angebot unterschiedlicher Distanzen bei der Meldung immer die längste Strecke zu wählen. So handhaben wir es hier auch. Leider wird ab Abzweig zu den 13 Kilometern die Zahl der Teilnehmer sehr überschaubar. Wir wähnen uns allein auf weiter Flur, zumal wir auf den Höhen des Haarstranges weite und freie Sicht haben. Das spüren wir auch deutlich an der Zunahme der Windgeschwindigkeit. Der fährt uns mächtig in die Kleidung, zerrt am warmen Shirt. Zu allem Überdruss muss ich nun die ein oder andere Gehpause einlegen mit der Gefahr auszukühlen. Und Uwe läuft immer noch neben mir. Es ist auch für ihn eine Herausforderung, in meinem Zuckeltrab mitzuhalten.

Aber getreu dem Motto „Vereint laufen macht stark“ muntern wir uns gegenseitig mit Geschichten aus der Vergangenheit auf. „Weißt Du noch, wie wir hier vor einigen Jahren beim Nostalgie-100er durchgelaufen sind? Hier hörte es auf zu regnen, nachdem wir während der Nacht im Dauerregen gelaufen sind, nur hin und wieder abgelöst von Wolkenbrüchen.“

Wir laufen weiterhin den 7:10er bis 7:30er Schnitt. Mehr ist für mich heute nicht drin. Und Uwe läuft immer noch neben mir. Wir sind wohl die letzten Läufer, die noch unterwegs sind. Die 2-Stunden-Grenze bis Zielschluss werden wir locker schaffen.

Die Zahl der Streckenposten, die an den jeweiligen Abbiegungen den rechten Weg weisen, wird immer geringer. Ich habe das Gefühl des hinter uns fahrenden Besenwagens, den es in Wirklichkeit natürlich nicht gibt.

„Zum Eichborn“ und „Auf’m Klei“ lauten die Namen der Wirtschaftswege, die außer der einheimischen Bevölkerung niemandem bekannt sein dürften, und die wir auch schnell wieder vergessen werden. Hauptsache, wir sind dort und laufen die längste Strecke der Veranstaltung.

Meine Knie melden sich. Sie wollen nicht mehr laufen. Es sind für sie genug Kilometer abgespult. Das bedeutet, wieder Gehpausen einlegen und Körner sammeln. Und Uwe läuft immer noch neben mir.

Uwe muntert mich immer wieder mit kleinen Anekdoten, die bei mir Erinnerungen auslösen, auf. Ja, schön war’s. Aber heute ist heute, und wir müssen die lange Bornekampstr. wieder zurücklaufen. Es sind zwar mehr Meter „Höhe-“, aber auch bergab kann der Weg ganz schön lang sein.

Irgendwann unterqueren wir wieder die B1, wir sehen die Schule, wir sehen die Menschenmassen, die uns am Straßenrand stehend empfangen, die La Ola Welle wird dargeboten. Doch leider ist dies nur ein Traum, die Schule oder besser der Schulhof ist fast menschenleer, in einer Ecke der Pausenhalle drängen sich einige Menschen um die Glühweinkocher. Einige unserer Freunde sind jedoch geblieben, harren aus, bis auch wieder gefinisht haben. Und Uwe läuft bis zum letzten Schritt neben mir. Da keine offizielle Zeitnahme erfolgt, drücken wir unsere Uhren nach Gutdünken mit Erreichen des Schulhofes ab. Gut 90 Minuten haben wir benötigt.

Wir genießen gemeinsam mit unseren Freunden einen Becher Glühwein (alkoholfrei?)

Entspannt und zufrieden fahren wir nach Hause. Die beste Ehefrau der Welt freut sich mit mir über den gelungenen Lauf in Unna. Und Uwe bin ich sehr dankbar, dass er mit mir gefroren und gegangen ist.

Was bringt mir das neue Jahr? In Kürze weiß ich mehr.

1 thoughts on “Silvesterlauf 2016 – stressfrei, aber emotional

  1. Danke für Deinen schönen Bericht und Glückwunsch zum Finish! Ich wünsche Dir für 2017, dass die Gesundheit mitspielt und Du noch viele schöne Lauferlebnisse haben wirst!

    LG,
    Finny

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