„Never Say Never Again“ ist nicht nur der Titel eines James Bond Films aus dem Jahre 1983 mit dem von mir sehr geschätzten Sean Connery, nein, dieser Satz kann auch als mein Ausspruch gelten. Da habe ich doch vor geraumer Zeit beschlossen, wettkampfmäßig nicht mehr Langdistanzen zu laufen. Und dann kam der der 6-Std-Lauf in Münster, bei dem es mir gelang, fast 30 Kilometer unter meine Laufwerkzeuge zu nehmen. Hinzu kommt, daß meine Tochter Anke nach langer Abstinenz auch wieder laufend unterwegs ist. Und wie sie läuft. Sie hat sich, nachdem sie in Münster über 45 Kilometer zurückgelegt hat und bei zwei Halbmarathonläufen eine vorzügliche Leistung erbracht hat, spontan zum LiDoMa IX angemeldet. Nicht wissend, wann und vor allem wo, in welcher Location, Frank die Teilnehmer diesmal starten lassen will. Und da wirst Du als Vater gefragt, willst Du nicht auch mitlaufen? Kann ich da nein sagen? Die beste Ehefrau der Welt wird eingeweiht. Wird sie sich meinem Herzenswunsch widersetzen? Natürlich nicht, denn sie weiß, wie wichtig mir das laufen ist.
Zwei LiDoMas musste ich leider aussetzen, jetzt ist die Gelegenheit da, wieder mitzulaufen. Und hat es das schon mal beim LiDoMa gegeben, dass zwei Generationen aus einer Familie an den Start gehen? Klar, Ehepaare wie Martina und Joachim Krause aus Lünen sieht man öfter beim LiDoMa. Aber Vater und Tochter? Ich glaube nicht, aber Frank weiß das natürlich viel besser und wird mich korrigieren, falls ich falsch liege. Also ist das ein Grund, sich sofort nach Öffnung der Anmeldung eintragen zu lassen, wissend, daß der LiDoMa immer Ruck-Zuck ausgebucht ist. Diesmal ist es genauso, Frank meldet am 15. März, einen Tag nach Meldebeginn: „Die Anmeldung ist wieder geschlossen. Ihr seid der Hammer. In nur knapp 24 Stunden sind alle Startplätze vergeben. Nun ist Schluss. Der LIDOMA soll klein und familiär bleiben. WIR SIND VOLL!!! Nix geht mehr!“ Also, richtig gehandelt. Damit haben Anke und ich einen Startplatz sicher.
Eine zweite Überlegung treibt mich um: ich möchte gerne mehr Kilometer laufen als beim 6-Std-Lauf, meine Leistung toppen. Ob das gelingt, steht auf einem ganz anderen Blatt, zumal mich bekanntermaßen einige Wehwehchen plagen. Ist eben so, wenn du älter wirst, da musst du durch. Und noch ein dritter Aspekt zieht mich zum LiDOMa: Ich will endlich mal wieder meine Lauffreundinnen und –freunde treffen, die ich ob meiner Wettkampfzurückhaltung geradezu schmerzlich vermisse. Die Meldeliste liest sich wie das who ist who meines Freundeskreises. Last but not least faszinieren mich immer wieder die von Frank exzellent und vorbildlich organisierten und von ihm und seiner Crew durchgeführten Läufe.
All diese Faktoren sprechen für ein Teilnahme-Muss. Als bekannt wird, daß Frank nach dem Phönixsee in Dortmund und der Jahrhunderthalle in Bochum wieder eine Industriefläche, nämlich die Zeche Zollverein in Essen, als Location ausgesucht hat, kennt meine Freude (fast) keine Grenzen. Für mich als Kind des Ruhrgebietes sind Industriegelände jedweder Art ein Stück Geschichte, Heimat. Hier bin ich groß geworden zwischen Fördertürmen und Hochöfen. Hier haben wir im Dreck gespielt, sind hingefallen, haben geweint und gelacht und sind gesund aufgewachsen. Die Zeche selbst, und damit genug der Reminiszenz, wurde im Jahre 1986 stillgelegt. Wikipedia schreibt zur weiteren Entwicklung: „Die Ernennung zum UNESCO-Welterbe 2001 war der Beginn für den weiteren Ausbau des Geländes: Der Architekt Rem Koolhaas entwickelte mit seinem Rotterdamer Office for Metropolitan Architecture 2001/2002 den Masterplan für die Umgestaltung des Standortes in einen lebendigen Kultur- und Wirtschaftsstandort.“
Aber wie soll nun mein Training gestaltet sein? Lange Vorbereitungsläufe kann ich nicht durchstehen. Dafür mehrere kleinere Einheiten auf die Woche verteilt? Ja, so kann, nein muss mein Vorhaben realisiert werden. Was heißt aber schon kleine Einheit? Max. 25 Kilometer am Stück kann ich schaffen, deshalb aktiviere ich wieder einmal meinen Trinkrucksack mit seinem Fassungsvermögen von ca. zwei Litern. Mein Training manifestiert sich in 3-4 Wocheneinheiten. Dienstags und freitags ist Lauftreff mit meiner Frauengruppe, und 2x muss ich eben allen laufen. Zwischendurch lasse ich meine Muskulatur immer wieder von Max, dem Kneter, weich und elastisch drücken. Ihm gebührt auch ein großes Dankeschön, dass ich überhaupt meine Laufwerkzeuge wieder einsetzen kann. Anke läuft sowieso in ihrer eigenen Welt. Ohne mich. Ich würde sie eh nur zweimal bei einer Laufeinheit sehen: Am Start und im Ziel.
Der Tag des LIDOMA IX, der 2. Juli 2017, ist endlich da. Frohgelaunt fahren wir nach Essen zur Zeche Zollverein, wobei uns der genaue Ort des Geschehens unbekannt ist. Das Zechenareal entpuppt sich nämlich als ein riesiges, unüberschaubares Gelände, bei dem etliche Straßennamen nach der Neustrukturierung des Geländes noch nicht in das Navigationssystem eingepflegt sind. Zu frisch sind die Umbauarbeiten, sodaß die Namensgebung hinterherhinkt. Zum Glück hat Frank eine kurze Wegbeschreibung auf Ankes Handy geschickt, aufgrund derer wir den Veranstaltungsort gut finden.
Einige Aktive sind – neben Frank und seinen Helfern natürlich – bereits vor Ort. Es gibt herzzerreißende Begrüßungsszenen genau wie mit den nach und nach eintreffenden Teilnehmern. Man kennt sich, ist eine große Gemeinschaft, ja fast schon eine Familie. Ich freue mich über das Wiedersehen mit vielen Freunden und Bekannten. Fast die Hälfte der Teilnehmer kenne ich. Es wird viel gelacht und geredet, Entspannung pur, keine Nervosität wie z.B. bei großen Stadtmarathons. Anke fühlt sich sichtlich pudelwohl. Warum trägt sie denn statt der Startnummer einen Fuß mit 3 Zehen? Hm, geheimnisvoll!
Um 9 Uhr startet Frank das ca. 80köpfige Teilnehmerfeld. Vorne geht sofort die Post ab. Ich starte von einer hinteren Position. Wir wissen, daß für die Marathonstrecke insgesamt 12 Runden zu laufen sind. Das bedeutet, 12 x auf einem Kurs um die Relikte und Hinterlassenschaft unserer Industriegeschichte herumlaufen. Neben mir läuft Reiner, ebenfalls ein guter Freund. Wir treffen uns nicht allzu oft, allein schon wegen der Entfernung unserer Wohnsitze. Deshalb freut es mich umso mehr, mit ihm gemeinsam den Lauf zu beginnen.
Wir laufen in einem für uns angenehmen Tempo ohne Zeitdruck und Streß. Daß wir lange Zeit die „rote Laterne“ tragen, ist uns völlig wurscht. Frank wäre nicht Frank, und der LIDOMA wäre ohne Würze, gäbe es da nicht einige verzwickte Stellen in Form von Treppen, die uns das Leben, genauer das Laufen erschweren. In der ersten Runde kommen wir problemlos hinauf, aber mit zunehmender Kilometerzahl wird es schwieriger. Reiner und ich haben jedoch soviel Gesprächsstoff, wir könnten allein deswegen unendlich weiter laufen. Belastung und Anstrengung plaudern wir weg. Nach wenigen hundert Metern in jeder Runde verlassen wir den geräumigen und gut zu laufenden Rad-/Fußweg, um ein Stück geschotterte Strecke zu durchlaufen. Du hast das Gefühl, dass die Schienen zwar entfernt sind, der Schotter hingegen liegenbleibt. Unangenehm für meine Knie, Reiner hat ähnliche Probleme. Und genau auf diesem trailigen Abschnitt finden natürlich Überholvorgänge statt. Du weißt gar nicht, wo Du hintreten sollst.
Entlang einer stillgelegten, asphaltierten Bahntrasse, auf dem Gelände befinden sich noch jede Menge Eisenbahngleise aus früherer Zeit, nähern wir uns einigen Highlights der „neuen“ Zeche. Du kannst hier Führungen buchen und viel Zechengeschichte er- und durchleben. Sogar eine kleine gummibereifte Bimmelbahn fährt Familien mit Kindern für kleines Geld zu den Attraktionen. Gastronomie ist ebenso angesiedelt wie ein Andenkenshop und ein Museum. Bald überrundet uns der Gesamtführende. Wenig später laufen die nächstplatzierten Läufer auf und sausen an uns vorbei. Wann kommt die erste Frau? Wie weit ist Anke gekommen? Es dauert eine kleine Weile, dann nähert sich die 1. Frau. Anke ist es (leider) nicht, aber sie liegt an zweiter, dritter Stelle mit Tendenz nach vorne.
Nach jeder Runde trinken wir ausführlich und essen von den Köstlichkeiten, die Frank uns anbietet. Dabei bedienen uns wie bei jedem LIDOMA Tatjana, Reiners Freundin, und Monika, eine gute Freundin nett und aufmerksam mit allerlei Köstlichkeiten. Hier erhalten wir auch die neuesten Nachrichten zum Stand des Rennens, insbesondere zu Anke. Wenn Du nun denkst, „ach, das ist ja langweilig, immer die gleiche Runde, und das maximal 12 Mal“, muss ich Dich eines Besseren belehren. Es ist wunderbar, ich fühle mich pudelwohl, freue mich, mit vielen Freunden laufen zu können. Und noch schöner, ich erfahre zwischendurch, dass Anke nunmehr die Frauenwertung anführt. Ob es letztendlich zum Gesamtsieg reicht, wird sich zeigen, denn gerade beim Marathon gibt es viele Unwägbarkeiten. Du kannst umknicken, überpacen, Seitenstiche oder Atemnot bekommen, kurzum, der Ausgang des Rennens ist zu diesem Zeitpunkt völlig ungewiss.
Reiner signalisiert mir, nach 6 Runden, also Halbmarathon, aufhören zu wollen, denn das ist seine Wunschdistanz für heute, länger möchte er nicht laufen. Ich werde mich erst nach den 6 Runden zum Weiterlaufen oder Aufhören entscheiden. Derzeit fühle ich mich wohl, die Knie zwicken leicht, aber das bin ich gewohnt, damit kann ich gut leben und bin keineswegs beeinträchtigt. Nach besagten 6 Runden, wir laufen zwischen 25 und 31 Minuten pro Runde, und einer Zeit von 2:47 Std. finisht Reiner, während ich spontan beschließe, weiterzulaufen.
Da passt es gut, dass zu diesem Zeitpunkt Daniela mit mir am Versorgungspunkt Energie tankt und eine Runde mit mir laufen möchte. Auch wir sind eine Ewigkeit nicht mehr gemeinsam unterwegs gewesen, wir haben reichlich Gesprächsstoff. Wir bewältigen erneut den die ersten Meter um die historischen Zechengebäude und tasten uns über die Schotterpiste in den nunmehr von vielen Spaziergängern, Radfahrern und Museumsbesuchern bevölkerten Bereich der Zeche. Vorsicht ist geboten, zumal meine Aufmerksamkeit mit zunehmender Laufdistanz doch abnimmt. Daniela hat den LIDOMA bereits gewonnen, das war in Faule Butter. Heute hat sie keinerlei Siegesambitionen, sie will mitlaufen und wie ich den Lauf genießen. In einer der vielen Runden treffe ich Anke am Versorgungsstand. Ihre Wade zwickt, sie ist skeptisch, ob sie die volle Distanz laufen kann. Aber sie hat den Willen und auch die Kraft und das Stehvermögen, ihr Tempo beizubehalten und den LIDOMA durchzulaufen.
Puh, 7 mal bin ich nun um und durch das Zechengelände gelaufen, habe die 38 Treppenstufen genau so oft bewältigt, zugegeben, mehr im Gehen, und stehe nun vor der Entscheidung, nach ordentlicher Versorgung durch Tatjana und Monika: Weiterlaufen, ja oder nein. Frank, der übrigens in zünftiger Bergmannkluft und sogar mit Staub im Gesicht, die Aufsicht führt und penibel darauf achtet, dass seine Töchter korrekt die Runden der Teilnehmer zählen, zwinkert mir zu nach dem Motto, komm, Du kannst nicht weiter, Du schaffst das. Was soll ich machen? ich befolge Frank’s aufmunterndes Zwinkern und laufe weiter. So einfach ist das. Ich weiß, daß ich an meine Grenzen komme, so viele Kilometer bin ich seit Münster nicht mehr gelaufen. Es gelingt, mir weitere Körner zu mobilisieren.
Edith, eine Lauffreundin unseres LWT, besucht uns, eine kurze Begrüßung mit Umarmung versteht sich, dann weiter. Sie will die Strecke entlang gehen und Fotos von uns knipsen. Nebenbei wird mir gesagt, daß Anke, die mich inzwischen mehrfach überrundet hat, nunmehr die Frauenwertung anführt, da ihre Konkurrentin Maike nach Halbmarathon aufgehört hat. Wie sie mir später sagt, reicht ihr diese Distanz, Marathon möchte sie nicht (mehr) laufen. Ich bewege mich nunmehr in einen Geh-/Laufrhythmus, freue mich über jeden Meter, den ich nahezu problemlos zurücklegen kann.
Nachdem ich mich die Treppenstufen wieder einmal hochgewuchtet habe, überrascht mich Edith. Sie erwartet mich, bevor ich wieder in ein flaches Teilstück laufen kann. Unschwer ist rechts der steile Anstieg (Steigerweg) zu erkennen, während links der fast flache Weg (Knappenweg) weiterführt. Selbstredend entscheid ich mich immer für den altersgemäß flachen Weg. Frank hat auch an alle Schwierigkeitsgrade gedacht. Klar, sie knipst mich. Hier habe ich gut 28 Kilometer auf dem Tacho. Mit Erreichen des Start-/Zielbereiches und der Versorgungsstation habe ich fast so viele Kilometer zurückgelegt wie beim 6-Std-Lauf in Münster. Soll ich noch einmal den Kurs ablaufen? Wieder zwinkert mir Frank zu, was ich als Aufmunterung verstehe. Also mache ich mich noch einmal auf den Weg.
Anke macht während des gesamten Rennens eine gute Figur. Sue kann sogar lächeln, auch wenn kein Fotograf in der Nähe ist. Zwischenzeitlich erfahre ich, daß Anke nunmehr tatsächlich die Spitzenposition bei den Frauen hält und ihr somit der Gesamtsieg kaum noch zu nehmen ist. Noch einmal kommt mir Edith auf dem eckigen und v Kurs entgegen. Ich muß jetzt doch kämpfen, wo sind meine restlichen Körner? Keine mehr da. Doch ich will diese Runde noch schaffen, mehr als 30 Kilometer am Stück bin ich ewig nicht mehr gelaufen. Und jetzt besteht die große Chance, diese Marke zu knacken.
Ein letztes Mal laufe ich durch den Eventbereich, eine Bühne für eine Veranstaltung ist bereist errichtet, nein nicht für mein Finish. Noch einmal die Treppen hinauf, eine stark befahrene Straße ordnungsgemäß auf dem Zebrastreifen überqueren, durch das Eingangstor auf das Zechengelände, ich bin fast da, bin für mich im Ziel. Bleibt nur noch die nicht enden wollende lange Zielgerade mit ihren gefühlten 100 Kilometern zu laufen, dann sehe ich den Zielbereich, meinen Zielbereich. Ich laufe über die markierte Linie, werde herzlich begrüßt, auch von Anke, die, und das steht fest, tatsächlich zum ersten mal in ihrem Leben eine Gesamtwertung der Frauen bei einem Marathon gewinnt.
Klar, wir sind überglücklich, sie über den gefinishsten Marathon, ich über den gefinishten Ultrahalbmarathon in 4:31. Die Siegerehrung gestaltet Frank sehr nett und angemessen. Die drei Erstplatzierten bekommen einen Kohlepokal, und Siegerin und Sieger werden zusätzlich mit einem Lorbeerkranz versehen. Und Ankes Zeit kann sich durchaus sehen lassen: 4:07 Std. stehen auf dem Tacho. Und das bei dem Kurs. Wir werden wohl noch viel von Anke erleben. Als nächstes will sie den Marathon in Münster unter die Laufwerkzeuge nehmen. Wir werden sehen.
Ein herzliches Dankeschön geht an Frank, der wie in jedem Jahr viel Aufwand und Energie in den Lauf gesteckt hat sowie an seine sichtbaren und unsichtbaren Helfer bei Versorgung, Zeitnahme und Assistenz.
Ich freue mich schon auf den LIDOMA X im nächsten Jahr.
(Fotos privat und von Catfun-Foto.de)