Der Lockruf des Phoenixsees

Was lockt mich immer wieder an den Phoenixsee in Dortmund-Hörde? Was fasziniert mich an diesem Gewässer? Ist es die Lage oder bestimmt die Vorgeschichte meine Sympathie für diese Location? Oder ist es gar eine sportliche Gier, eine Sucht, diesen Ort in regelmäßigen Abständen aufzusuchen?

Es ist wohl eine Mischung aus allem. Denn zum einen habe ich einige Jahre in Hörde in Sichtweite des Stahlwerkes gewohnt und bin mit den Gerüchen und den Geräuschen der Industrieanlage sowie den Sorgen und Ängsten der Beschäftigten noch bestens vertraut. Zum anderen ist der Rundweg um den See, der eigentlich kein Rundweg sondern mehr oder weniger ein Rechteckweg ist, eine liebgewordene Laufstrecke. Die Gegend am See bietet alles, was das Läuferherz begehrt. Es treffen sich Läuferinnen und Läufer aller Kategorien, vom Spitzensportler über ambitionierte Langstreckler bis zum Genießer. Und dabei spielt die Uhrzeit keine Rolle, immer kann gelaufen werden.  Jeder bewegt sich in dem ihm genehmen Tempo und legt die gewünschte Distanz zurück. Und das Schöne an diesem Kurs: Bei einem Gruppenlauf kann Dir niemand davonlaufen, egal wie schnell er ist.  Irgendwann triffst Du ihn wieder, und sei es beim Überholvorgang.

Hier habe ich in den letzten Jahren viele, viele Kilometer zurückgelegt. Ich erinnere einen Marathon, den LiDoMa im Jahre 2012 oder die spätabendlichen oder nächtlichen 50 km Läufe mit Freunden. Alles Erlebnisse, die ich nicht missen möchte, und von denen ich keinen Laufmeter bereue. Berichte hierzu habe ich im Internet, u. a. bei www.laufen-in-dortmund.de veröffentlicht.

Ich ergreife somit jede Gelegenheit, am See zu laufen. Auch wenn dafür hin und wieder eine Startgebühr zu entrichten ist. Und eine dieser Möglichkeiten bietet sich seit einigen Jahren Anfang Januar, wenn zum Neujahrslauf am Phoenixsee gerufen wird. Eine Besonderheit dieses Laufes liegt darin, dass Du Dich nicht von vornherein auf eine bestimmte Distanz festlegst. Du kannst vielmehr während des Rennens entscheiden, wie oft Du den See umrunden oder umecken willst. Spätestens nach 90 Minuten muss allerdings die finale „Umecke“ begonnen sein. Jeweils nach 3,25 Kilometern erreichst Du Start/Ziel.

In den vergangenen Jahren habe ich diesen Lauf belächelt, ihn nicht einem Wettkampf gleich angesehen. Doch wie so oft im Leben musste ich meine Meinung revidieren, musste mich von den genannten Vorzügen überzeugen lassen und mutierte somit zu einem eifrigen Anhänger dieser Veranstaltung.

Im Jahre 2017 nehme ich erstmalig an diesem Lauf teil. Wie ich ihn erlebte, habe ich ja ausführlich beschrieben. Du kannst es gerne nachlesen. Ich spare mir deshalb eine Wiederholung des Geschehens. Und nun, im Jahre 2018, ist alles im grünen Bereich. Schnee und/oder Glatteis sind nicht zu befürchten, im Gegenteil, der Winter ist bislang recht mild. Es gelingt mir, auch wieder einige meiner Laufküken mit Mitmachen zu bewegen. Das ist schon klasse, weiß ich mich doch in guter und lustiger Gesellschaft. Noch besser ist für mich persönlich, dass meine Tochter mitläuft und in diesem Zusammenhang auch die beste Ehefrau der Welt mitfährt, um uns anzufeuern. Der Wetterbericht prophezeit uns zwar Wind und Kälte, aber irgendwie wird uns schon warm werden. Denken wir!

Zusammen mit einer Lauffreundin und zwei jungen Nachwuchsläuferinnen fahren wir zeitig zum See, um noch genügend Zeit zur Akklimatisierung, sprich Gequatsche mit Freunden und Bekannten zu haben. Beim Gang vom Parkplatz zum Veranstaltungsgelände werden wir von einem unangenehm stürmischen Wind überrascht, der aus östlicher Richtung über den See streicht. Gepaart mit einer Temperatur im unteren einstelligen Bereich empfinden wir den Ort als ungastlich. Bloß schnell weg von hier, fordert eine Stimme in mir. Ist das etwa der innere Schweinehund, den ich seit längerem besiegt zu haben glaubte? Er muss es sein, denn erst durch konsequentes Gegenarbeiten verstummt er. Ich werde jetzt nicht passen, wo ich doch gerade in den Wettkampfmodus gerate. Ich fühle mich wohl, meine Beschwerden tendieren gegen Null.

Wir reihen uns in die Warteschlange vor der Startnummernausgabe ein. Obwohl sie recht lang ist, geht es doch zügiger als gedacht. Meine Tochter ist inzwischen auch hier, Familientreffen der anderen Art. Die beste Ehefrau der Welt und ich orientieren uns. Wo ist was? Wo steht man am besten, um die Läufer frühzeitig zu erkennen? Gar nicht einfach bei dem Gewusel um uns herum. Hier ein aufmunterndes „Hallo Wolfgang“, dort ein freundliches Lächeln beim Händeschütteln. Mann oh Mann, ich kenne viele Teilnehmer. Und das ist es, was ich brauche: Die sozialen Kontakte, der kameradschaftliche Umgang mit Freunden und Bekannten. Ich habe vor einiger Zeit aus einer Frustsituation heraus in einem sozialen Netzwerk mein Alleinlaufen bemängelt, hier ist das anders, hier bin ich unter meinesgleichen, hier fühle ich mich wohl.

Ich will wieder versuchen, ein Video zu erstellen. Den Begrüßungstrailer dreht ein Bekannter meiner Tochter. Ansonsten mache ich bewegte Bilder von den Menschenmassen um ich herum. Um es vorweg zu sagen, mehr Clips habe ich nicht anfertigen können, sei es aus Mangel an Gelegenheit oder Vergeßlichkeit. Letztes ist wohl der eigentliche Grund. Zum Aufwärmen gehen wir in die Bäckerei am Rand der nördlichen Uferbebauung. Die Idee haben auch sehr viele andere Teilnehmer, so dass es hier rappelvoll ist. Und die Warteschlange vor dem einzigen Klo ist immens lang. Klar, draußen bei den Dixies ist es a****kalt, nur wenige zieht es dahin. Dann aber mehr aus Verzweiflung, weil in der Bäckerei…, naja.

Kurz vor dem Startsignal gehen wir in den bereits sehr gut gefüllten Startbereich. Etwa 1500 Läuferinnen und Läufer werden gleich die Strecke unter ihre Laufwerkzeuge nehmen. Boah, Wahnsinn, ich glaube, so viele Köpfe hat der Veranstalter noch nie gezählt. Ich bin auf die Zahl der tatsächlichen Finisher gespannt. Meine Garmin 310 Super-High-Tec-GPS-Uhr ist bis zum Anschlag aufgetankt, mehr als genug Treibstoff für heute. Bei dem Klangteppich aus Gelächter, Unterhaltung und Abklatschen hören wir nicht den Startschuss. Wir nehmen den Beginn erst wirklich wahr, als sich das Läuferfeld vor uns langsam, sehr langsam in Richtung Startmatte in Bewegung setzt. Wir klatschen uns auch noch einmal ab, dann laufen wir über die Startmatte, die Zeit zählt, wir sind on Tour.

Meine Laufküken und ich bilden eine kleine Laufgemeinschaft.  „Nur nicht überpacen, lasst alle laufen, wir suchen und finden unser eigenes Tempo, unseren persönlichen Rhythmus“, bläue ich meinen Laufreundinnen ein. Die beste Ehefrau der Welt steht zusammen mit einem Bekannten meiner Tochter neben der Strecke, ein flüchtiges Hallo, ein kurzes Winken, auf geht’s. Die Tochter ist selbstverständlich schon längst vor mir im Gewühl verschwunden. Sie will mit einem Lauffreund, mit dem sie öfter trainiert, mehr Kilometer schaffen als ich. Jaja, so sind die jungen Wilden, immer den Älteren weglaufen, besser sein wollen. Ich finde das gut, war früher auch mein Bestreben.

Die ersten Meter sind wie immer sehr unruhig, Du überholst, wirst überholt. Hinzu kommt die Anwesenheit vieler, wettkampfunerfahrener Läufer, die die Besonderheiten im Hinblick auf Rücksichtnahme noch nicht verinnerlicht haben. Insofern sind wir mehr als froh, schnell unser eigenes Tempo zu finden. Aus den Scharmützeln der anderen Läufer können wir uns elegant heraushalten. Wir sind nun zu fünft (vier Küken und ich). Die beiden Nachwuchsläuferinnen, die ich zu Beginn kurz erwähnte, sind auch schon außer Sichtweite. Sie möchten zwei Runden laufen, für sie sicherlich ein Achtungserfolg.

Sehr diszipliniert und verabredungsgemäß laufen wir den Kilometer 1 in 7:38 min. Nicht schlecht für mich, der ich doch sonst Geschwindigkeiten von über 8 min laufe. Die Kardinalfrage ist nur, kann ich das möglichst lange durchhalten. Vorweg gesagt, in Ansätzen gelingt es mir, aber hinten raus wird es doch mühsam werden.

Egal, wir kämpfen gegen den doch starken Ostwind, der uns auf der Nordseite des Sees zu schaffen macht. Gut bemützt und mit dem Halstuch vom LiDoMa 2012 halte ich mich warm. Und diesen Wind, das steht jetzt schon fest, werden wir bei jedem Lauf auf diesem Streckenteil spüren. Die beste Ehefrau der Welt beklatscht uns vor Start/Ziel. Auch sie muss den Wind aushalten, sie tut es geduldig und mit Ausdauer. Wir klatschen uns kurz ab, laufen weiter. In 25:20 min erreichen wir Start/Ziel, ganz okay für die ersten 3,25 Kilometer. Unsere Zwischenzeit wird gemessen und wir beginnen den nächsten Abschnitt. Wieder empfängt uns der Wind, ein alter Bekannter, der es nicht lassen kann, an uns zu zerren und uns ins Gesicht zu blasen. Wir trinken (noch) nicht, es wird eh nur gekühltes Wasser gereicht.

Unsere Gruppe ist inzwischen in drei Grüppchen zerfallen. Ist auch klar, jeder versucht so schnell wie möglich zu laufen. Petra und ich laufen gemeinsam. Es gibt viel zu erzählen und zu lachen, zumal wir längere Zeit nicht zusammen gelaufen sind. Meine Garmin 310 Super-High-Tec-GPS-Uhr speichert zuverlässig Streckenlänge, Laufzeit, Herzfrequenz sowie einige weitere Daten, die ich später am PC auswerten werde.

Das Teilnehmerfeld ist immer noch schwer überschaubar, der Weg um den See gut gefüllt, auch wenn schon über 100 Athleten nach einer Teildistanz gefinisht haben. Wir laufen auf der Nordseite des Sees, vorbei an schmucken Häusern, villengleich, die sicherlich sehr viel Geld gekostet haben. Dennoch möchte ich aus unterschiedlichen Gründen mit niemandem tauschen. Ungefähr auf halber Strecke ist strategisch günstig ein Rot-Kreuz-Fahrzeug postiert. Ja, auch daran musst du als Veranstalter denken, eine med. Versorgung ist sicherzustellen. So steht es auch m. W. im Reglement von Laufveranstaltungen, zumindest bei Läufen ab einer bestimmten Größe.

Wieder erwartet uns die beste Ehefrau der Welt an der bekannten Stelle. Unermüdlich und freudestrahlend empfängt sie nicht nur uns, sondern auch die anderen Läufer. Nach 26:33 min beenden wir diese Teilstrecke und genehmigen uns erst einmal einen gehörigen Schluck (kalten) Wassers. Das geschieht nach der alten Läuferweisheit: Trinke, bevor der Durst kommt.

Viele Läufer kennen mich, ich werde immer wieder freundlich begrüßt. Das zeigt die Verbundenheit unter uns. Auch wenn du einige Zeit nicht aktiv an Wettkämpfen teilgenommen hast, vergessen bist du nicht. Plötzlich hinter mir: „Papa, was bist du schnell!“ Kann doch nur meine Tochter sein. Ist sie auch. Freudestrahlend rauscht sie an mir vorbei, nicht ohne ein „Puh, ist da kalt!“ nachzuschieben. Sie überrundet mich, klasse. Wir werden immer wieder heftig von den Wassertieren, vor allem Enten, beschimpft. Was fällt uns denn ein, am ansonsten ruhigen Sonntagmorgen mit großem Spektakel um den See zu rennen. Da tauchen einem ja die Schnecken und Würmer weg. Frechheit.

Unserer Eindrücke wiederholen sich, mit abnehmendem Lauftempo läuft der Film nun verlangsamt ab. Die Läuferzahl sinkt rapide, denn nach der zweiten Teilstrecke finishen auch immer mehr Aktive. Die beste Ehefrau der Welt beklatscht uns wieder und erkundigt sich, ob wir noch weiterlaufen. Klar, wir haben noch 12 min verfügbar. Ach so, den dritten Teil legen wir in 27:24 min zurück. Die Uhr im Start-/Zielbereich zeigt die Restzeit an. Ein kurzer Check mit Petra, ein zustimmendes Nicken, ein Schluck Wasser und schon sind wir wieder auf dem Kurs. Wir legen die vierte Teilstrecke zurück. Unterwegs werden wir wieder von meiner gut aufgelegten Tochter überholt. Sie will nach diesem Abschnitt den Lauf beenden, zu kalt, ist nicht ihr Wetter.

Jetzt geht es ans Eingemachte. Fehlendes Training macht sich bei mir bemerkbar, die Gehpausen nehmen zu. Die Kilometerzeiten rutschen nach oben, von flüssigem Laufen keine Spur. Petra und ich versuchen, uns bei Laune zu halten, kommen von Hölzchen auf Stöckchen, doch der vierte und für uns letzte Abschnitt dehnt sich wie frisches Kaugummi, zäh. Wie nicht anders zu erwarten, begrüßt sie uns, naja wer wohl, mit einem großen Hallo. Auch meine Tochter ist inzwischen in warme Kleidung gehüllt und klatscht uns ab.

Wir biegen auf die Zielgerade ein. Beifall brandet auf, Menschenmassen säumen den Weg, die Fernsehkamera sind auf uns gerichtet, die ARD unterbricht ihr laufendes Programm… Träume, die unerfüllt bleiben. Einige wenige Zuschauer, darunter auch die vor uns gefinishten Küken, begrüßen uns. Puh, eine wirklich windige Sache ist zu Ende. Der Zielauslauf ist sehr kurz, für uns aber lang genug. Jetzt gehen wir zum Versorgungsstand mit Apfelsinenstücken, Bananen, Äpfeln und Getränken. Leider bekommen wir keine Erinnerungstasse mehr, auf dem Transportweg seien einige zerbrochen, ist zu vernehmen. Aber in Kürze könnten wir noch eine bei Laufsport Bunert erhalten. Die begehrte leere Brötchentüte erhalten wir.  Hier hinein legt der als Sponsor auftretende Großbäcker, der am Rande, du weißt schon, zwei Brötchen. Insgesamt drei Tüten habe ich zur Verfügung. Das entspricht sechs Brötchen. Und die will ich ja mitnehmen. Die beste Ehefrau der Welt, die so tapfer und geduldig meinen Lauf ausgehalten hat, und ich werden sie am Nachmittag/Abend zusammen mit einer leckeren Tasse Kaffee, den gab es übrigens als Probenbeutel ebenfalls im Ziel, genießen. Die Schlange vor der Bäckerei ist lang. Bis zum See stehen die Leute. Die Bedienung, bestehend aus zwei Verkäuferinnen, hat alles im Griff. Zügig werden wir bedient.

Das mit dem Video hat doch nicht so funktioniert, wie ich es mir gedacht habe. Die Clips geben nicht das her, was ich mir vorgestellt habe. Macht aber nichts, bei der nächsten Auflage wird es besser. Genug gefroren, gemeinsam fahren wir nach Hause. Und zwar schnell, die Dusche wartet.

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