24 Stunden am Seilersee… eigentlich

Eigentlich will ich am Samstag nach Iserlohn. Der 24h-Lauf rund um den Seilersee steht an. Tja… eigentlich. Aber manchmal kommt es eben anders. Ein Umzug meiner Tochter Marie steht an und da muss der Papa mithelfen. Und so verbringe ich den Samstag erstmal damit, früh aufzustehen, Möbel zu tragen und nichts richtig zu essen oder zu trinken. Jedenfalls nicht so, wie es sich für die Zeit vor so einem langen Lauf gehört. Der Start in Iserlohn ist mittags um 12:00 Uhr, aber da bin ich noch möbelmäßig unterwegs. Als dann der Umzug soweit geschafft ist, packe ich schnell meine Sachen und fahre zum Seilersee. Was heute noch so geht, weiß ich nicht, denn irgendwie war der Tag bisher schon anstrengend genug. Eigentlich wollte ich ja mindestens dreistellig laufen, also mindestens 100 km. Und vor allem die Nacht wollte ich eigentlich durchlaufen. Eigentlich alles als Training für Berlin. Aber wie gesagt… eigentlich!

Ich hole mir schnell meine Startnummer und den Transponder, finde ein Plätzchen in dem Zelt von Uwe für meine Tasche und stehe um 17:33 Uhr an der Startlinie. Los geht’s. Mal schauen, was die Beine noch so hergeben. Viele Bekannte sind auf der 1788 m langen Runde um den See und in meinen ersten Runden gibt es viel zu begrüßen und zu quatschen. Das ist das Schöne an einem 24h-Lauf. Es ist alles recht entspannt. Um 18:00 Uhr kommen dann die 12h-Läufer und einige Freerunner dazu. Darunter auch Günter und Hans, mit denen ich zusammen in Berlin an den Start gehen möchte. Und so trabe ich plaudernd durch den Abend. Runde für Runde. Immer mal ein paar Meter mit dem einen, dann ein paar Meter mit dem anderen. Und ganz viel einfach für mich alleine.

Auf der Runde gibt es drei Rampen, wobei der Begriff „Rampe“ bei weitem übertrieben ist. Nur entwickeln sich leider im Verlaufe der Stunden diese kleinen Anstiege zu „gefühlten Rampen“. Und nach einiger Zeit gehe ich diese wenigen „steilen“ Meter nur noch. Laufend wäre ich hier auch nicht schneller und so spare ich einfach Kraft.

Irgendwann wird es dunkel. Die Nacht beginnt. Und ich genieße die tolle Beleuchtung der Strecke und des Sees. Da haben die Iserlohner wieder ganze Arbeit geleistet. Für so eine Illumination muss man woanders viel Geld bezahlen. Jetzt kommt das, warum ich hier heute laufe. Ich will durch die Nacht laufen. Als Training für Berlin. Aber es fällt mir jetzt schon sehr schwer. Der Tag war doch vorher recht anstrengend und ich merke nun die fehlende Kraft und vor allem die noch mehr fehlende Lauflust. Aber genau das wollte ich ja. Mich durch die Nacht kämpfen. Also laufe ich erstmal weiter. Dabei denke ich viel nach. Über Berlin. Über meine Müdigkeit, die langsam aufzieht. Über das lange Laufen allgemein. Und so komme ich irgendwann dann doch zu dem Entschluss, dass mir 50 km heute reichen. Die werde ich so kurz nach Mitternacht erreichen. Dann kann ich nach Hause fahren und den Rest der Nacht gut schlafen. Mit dem Umzug vorher kann ich das vor mir selbst auch eigentlich gut verkaufen. Aber wie schon mehrfach erwähnt… eigentlich!

Denn als ich kurz nach 0 Uhr zum x-ten Mal über die Rundenzählung laufe, den Piepton höre und auf der Anzeige die 50 km lese, entschließe ich mich, jetzt aufzuhören. Es reicht. 50 km ist ein Ultra und das ist genug für heute. Ich bleibe stehen und will nun zum Orga-Zelt, um mich abzumelden. Nur… Günter und Hans sind genau jetzt zufällig hinter mir. Als sie kurz nach mir über die Rundenzählung „piepen“, drehe ich mich zu ihnen um und will mich verabschieden. Nur wollen sie das gar nicht hören und die beiden reden direkt auf mich ein und überreden mich dazu, noch wenigstens eine Runde zu laufen. Wir quasseln ein wenig über Berlin und laufen dabei wieder weiter. So schnell kann man mich bekehren. Nach der nächsten Runde überlege ich, dass ich mit so einer krummen Kilometerzahl von 51,8 km doch nicht aufhören kann. Also laufen wir weiter. Nach der nächsten Runde habe ich dann 53,6 km auf der Anzeige. Das ist auch nicht besser. Und so laufe ich nun weiter und weiter. Und nach ein paar Runden auch wieder alleine. Immer weiter.

Und so laufe ich nun durch die Nacht und durch die frühen Morgenstunden. Ich rechne nicht mehr und schaue auch nicht mehr oft auf die Anzeige. Ich bin total müde und k.o., aber ich laufe weiter. Und dann bin ich auch schnell wieder bei Rocky. Bei meinem Motivator Nr. 1. „Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist!“ Das sage ich mir jetzt laufend vor mich hin. „Denke nicht daran, wann das Ende kommt. Oder das Ziel. Laufe einfach. Kämpfe Dich Stück für Stück weiter. Runde für Runde. Denke nicht daran, was noch vor Dir liegt. Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist!“

Auf den „Rampen“ gehe ich weiterhin. Den Rest laufe ich. Aber ich fange beim Gehen nun an zu torkeln. Das Laufen funktioniert noch gut. Doch beim Gehen fallen mir die Augen zu. Echt krass. Man kann gehend einschlafen. Ein Mitläufer spricht mich irgendwann an und fragt mich, ob es mir gut geht. Er ging gerade hinter mir her und hat gesehen, dass ich über den kompletten Weg hin und her geschwankt bin. Aber mir geht es gut. Ich bin nur soooo müde. Und ich drehe weiter Runde für Runde um den See.

Dann kommt endlich ein Hauch von Farbe an den Himmel und von einem Moment auf den anderen beginnt die Natur plötzlich zu leben. Die Vögel zwitschern total laut. Die Enten schnattern und platschen durch den See. Der neue Tag beginnt. Und mit dem Licht kommen die Lebensgeister wieder zurück. Mir geht es schnell besser und ich staune darüber, was Licht ausmachen kann. Ich bin wieder da.

Und mit knapp 80 km in den Beinen entscheide ich mich nun, heute wirklich noch dreistellig zu laufen. Ich mache die 100 km voll. Auch jetzt schaue ich nicht mehr oft auf die Anzeige. Aber ich zähle die Runden rückwärts. Noch 12 Runden, noch 11, noch 10… Und irgendwann um 8:45 Uhr habe ich es geschafft. 100 km! Krass. Nachdem ich bei 50 km platt und demotiviert war und aufhören wollte, bin ich tatsächlich das gleiche nochmal gelaufen. Hammer. Günter und Hans, ich danke euch fürs Anschieben. 🙂

Die nächste große Aufgabe ist die Heimfahrt. Auch eine Tasse Kaffee und ein belegtes Brot reichen nicht, um mich richtig wach zu halten. Ich muss mehrfach anhalten und etwas Luft schnappen, um nicht einzuschlafen. Aber auch diese Aufgabe ist irgendwann geschafft und ich parke das Auto rückwärts vor die Garage. Ich drehe den Zündschlüssel um, genieße die Sonne, die mir direkt ins Gesicht scheint und mache ganz kurz einmal die Augen zu…

Und plötzlich macht jemand meine Autotür auf. Meine Tochter Lena steht vor mir und weckt mich. Ich schrecke auf. Krass. Ich bin vor der Garage im Auto eingeschlafen. Es war wohl wirklich genug heute. Und eigentlich hat die Nacht ja dann doch ganz gut geklappt. Trotz Umzug vorher. Tja… eigentlich. 😉

5 thoughts on “24 Stunden am Seilersee… eigentlich

  1. Hallo Frank,
    auch von mir: Respekt!
    Viel Spaß weiterhin und viel Erfolg beim Lauf in Berlin. Du wirst das schaffen-ganz sicher.
    Beste Grüße aus dem Havelland
    Jens

  2. Das Wort „eigentlich“ bezeichnet man gern auch als „Weichmacher“, der Unsicherheit oder auch Unentschlossenheit aufzeigt. „Eigentlich“ nimmt vielen Aussagen die Klarheit. Aber eigentlich werden wir immer wieder von dir mit solchen Leistungen überrascht.
    Das sagt doch eigentlich schon alles! Denn es war doch eigentlich klar, das es ein genialer langer Vorbereitungslauf für Berlin wird 😉
    Tolle Leistung – mit Sicherheit, nicht eigentlich!
    Gruß Bine

  3. Hallo Frank,
    Glückwunsch ! Gllückwunsch das nichts passiert ist !
    Ob man eine Laufveranstaltung „torkelnd“ beenden muß, sei dahingestellt. Aber sich danach noch hinters Steuer zu setzen geht gar nicht ! Du hast Riesenglück gehabt !

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